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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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aber sie platzte ohne zu überlegen damit heraus: „Wie wäre es, wenn wir uns den Job teilen? Die Chemie stimmt zwischen uns, finde ich. Als Chefsekretärin sind Sie gut im Zuhören und Stenographieren. Und ich schreibe dann.“
    „Es gibt Diktiergeräte. Aufs Stenographieren kommt es bei dem Job nun wirklich nicht an.“
    „Wissen Sie, was mir gerade auffällt?“
    „Was?“
    „Unter den Bewerbern waren keine Männer.“
    „Und die Damen, die vor uns und mit uns hier im Warteraum saßen, waren alle unter 30 und wie aus dem Model-Bestellkatalog. Wenn das also die Kriterien sind, haben Sie so gut wie gewonnen.“
    Ehe Amelie antworten konnte, ging die Tür auf, und die Mitbewerberin schnitt ein Gesicht, dem man die Absage schon ansah.
    „Ich bin raus“, sagte sie. „Wer ist Frieda Berger, du? Kannst dich auch verabschieden. Amelie, die von vorhin, soll gleich noch mal rein.“
    „Ich kann also auch gehen?“, fragte Amelies Gesprächspartnerin, deren Namen Frieda Berger sie jetzt zum ersten Mal gehört hatte. „Ohne, dass ich mich überhaupt vorgestellt habe?“
    Ihre Stimme klang verblüfft.
    „Er hat die Bewerbungen vor sich aufgeblättert und ausgiebig unsere Fotos studiert, bevor er mir die Entscheidung mit auf den Weg gab. Was mich betrifft - ...“
    Sie machte die Geste des Finger-in-den-Mund-steckens und stöckelte zur gegenüberliegenden Tür, die durch einen langen, finsteren Gang zum Burghof führte.
    Frieda sah ihr irritiert nach, sprang auf, ging entschlossen zu der Tür, hinter der sie nicht erwünscht war, und reckte den Kopf hinein.
    „Ich hatte eine Anreise von über 200 Kilometern“, sagte sie so laut, dass ihre Stimme beide Räume erfüllte. Sie verharrte kurz und trat dann durch die Tür. Amelie, die ihr gefolgt war, hatte die winkende Bewegung des Wracks im Rollstuhl noch bemerkt. Obwohl Frieda ihr jetzt die Sicht versperrte, war zu erkennen, dass sie sich Geldscheine in die Hand zählen ließ.
    Als sie sich umdrehte, war ihr Gesicht überrascht, erfreut und erleichtert gleichermaßen. Sie zeigte Amelie vier Finger, was wohl 400 Euro bedeuten sollte, und schob ein Geldbündel, das die Vermutung bestätigte, in ihre Jackentasche. Die beiden jungen Frauen gaben sich die Hand, Frieda flüsterte „mach’s gut“ und steckte ihr ein Kärtchen zu.
    Sekunden später war Amelie allein mit der vertrockneten Bananenschale. Sie hatte das Gefühl, das große Los gezogen zu haben, aber wünschte sich, mit den Verliererinnen tauschen zu können, als sie das Gesicht ihres neuen Arbeitgebers sah. Der Blick sagte: Jetzt hab ich dich! Und lass dich nicht mehr los...
     
    „Als die Zugbrücke der alten Burg hinter mir hoch gezogen wurde und mich regelrecht gefangen setzte, stieg eine Angst in mir auf, die beinahe an Panik grenzte. Ich wusste... - Was ist, wieso schreiben Sie nicht?“
    Der Alte stellte die Frage mit schräg gesenktem Kopf ohne Amelie anzuschauen. Sie starrte ihren neuen Arbeitgeber über den Laptop-Bildschirm hinweg ungläubig an.
    „Soll ich das genau so mitschreiben?“
    „Aber gewiss.“
    „Das heißt, Sie diktieren mir? Ich soll nur tippen?“
    „Für alles andere fehlt mir die Zeit.“
    „Aber...“
    „Fräulein Amelie, mir fehlt auch die Zeit, um mit Ihnen erst mal warm zu werden. Ich muss gleich zur Sache kommen. Haben Sie Hunger?“
    „Was? Nein.“
    „Irgendwelche sonstigen Bedürfnisse?“
    „Nein.“
    „Was hindert uns dann, die erste Etappe gleich in Angriff zu nehmen? Es stand doch alles in meiner Anzeige. Sie haben sich als Profi ausgegeben, und ich hoffe mal, das sind Sie auch wirklich.“
    „Ich dachte, ich stelle Ihnen Fragen“, wich Amelie aus.
    „Vielleicht können Sie das später noch, vielleicht nicht. Aber zuerst diktiere ich Ihnen meine Geschichte.“
    Amelie stand auf und überwand mit zwei Schritten die kurze Distanz vom Schreibtisch zum Rollstuhl. Sie ignorierte ihren Widerwillen, ging neben dem schlecht riechenden alten Mann in die Hocke, schaute ihm in die Augen und fragte:
    „Warum ich?“
    „Sie waren die Hübscheste.“
    „Das geben Sie so offen zu?“
    „Sie waren die Bedürftigste.“
    „Was?“
    „Sie haben am wenigsten zu verlieren. Und sie haben keine Familie und offenbar auch keine Freunde, die Sie bei Ihrer Arbeit stören könnten. Suchen Sie sich was aus. Ich will jetzt anfangen. Und wenn Ihnen das nicht recht ist, kann ich auch Frieda zurückpfeifen. Ich habe die Telefonnummern aller Ihrer Mitbewerberinnen. Wollen Sie das

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