Totenblick: Thriller (German Edition)
Oberarmmuskeln zu beeindruckender Größe. »Gut getarnte Kraft.« Ares feixte und rieb sich einmal über den Kinnbart, strich die Haare dabei glatt. »Das schaffen wir bei Ihnen auch. Hoch mit Ihnen: eins, zwei …«
Während sein fliederfarbener Kunde neben ihm keuchte und hechelte, als würde er ein Kind auf die Welt pressen, dachte Ares daran, dass er seine zwei ungleichen Töchter ein Stück bereiter für das wahre Leben gemacht hatte.
Schließlich war das wahre Leben oft böse. Davon konnte er ein Lied singen.
Und vom Singen schweifte er zu den Routineproben für das Theaterstück: Kleists Zerbrochner Krug, allerdings in einer modernen Form.
Er war der Richter, vermutlich wegen seiner Glatze, wie er annahm. Aber die Rolle machte Spaß. Die Leipziger Volkszeitung hatte ihm bescheinigt, der trainierteste Dorfrichter Adam zu sein, den man bisher in Leipzig auf einer Off-Bühne gesehen habe. »Löwenstein stemmt die Rolle mit Leichtigkeit, was angesichts seiner Muskeln kein Wunder ist«, hatte der Kritiker geschrieben. Nach der Uraufführung gab es ein paar Umstellungen im Timing, die sie heute Abend nochmals durchgehen wollten.
» … zwanzig.« Ares federte in die Höhe und hielt Tzschaschel die Hand hin. »Gut gemacht! Jetzt drehen wir noch unsere Runden. Puls bis maximal 136, nicht zu schnell.«
Der Mann packte die Finger und ließ sich hochwuchten; seine Vokuhila wehte leicht, und die Löckchen wippten wie Miniaturstahlfedern. Fußballprofis hatten eine Zeitlang bis in die 80er solche Frisuren getragen und sich dafür nicht mal geschämt. »Klar.« Er sah zum Haus und winkte seiner Lebensgefährtin, die am Fenster stand. Anatevka.
Ihr weißer Pulli mit dem überdimensionalen Rollkragen hing auf einer Seite tiefer, so dass man die nackte Schulter sah. Sie trug nichts darunter, was sie sich bei dieser Figur leisten konnte. Die schwarzhaarige Schönheit lächelte und prostete ihm mit einem Kaffeehumpen zu. Sie war mindestens zwanzig Jahre jünger und siebzig Kilo leichter als Tzschaschel.
»Ach ja. Das ist doch mal Motivation!«
Und keinesfalls aus dem Ramsch, dachte Ares und grüßte sie ebenfalls. Eine echte Luxusrussin. »Dann beeindrucken wir die Dame doch mit weiterer Ertüchtigung.«
Sie nahmen ihren Dauerlauf auf, der Ares wiederum kaum anstrengte und höchstens als Aufwärmen angesehen werden konnte. Danach würde er ins Studio fahren und noch ein paar Eisen stemmen, anschließend zur Probe düsen. Es konnte ein äußerst gelungener Tag werden: Sport und Kunst.
Tzschaschels Handy gab ein Pfeifen von sich.
Der Geschäftsmann stoppte, um keuchend zu telefonieren. »Sorry, ist ein guter Freund«, schnaufte er noch erklärend.
Ares entfernte sich diskret einige Meter und sah zum Haus; Anatevka stand noch immer am Fenster. Sie hielt kein Telefon in der Hand. Kein Täuschungsversuch. Anfangs hatte sein Kunde versucht, mit »wichtigen Anrufen« Zeit zwischen den Übungen zu schinden, bis sich herausstellte, dass sie es gewesen war. Natürlich auf Geheiß ihres Lebensgefährten.
Tzschaschel legte auf. »Entschuldigen Sie, Löwenstein, aber das war wichtig«, berichtete er.
»Sie wissen, dass Sie das siebzig Euro kostet?«, fragte Ares. So lautete die Abmachung: Ein Anruf während der Lektion bedeutete eine Spende für einen guten Zweck.
»Der hier nicht. Das ist eine Notfallnummer.« Tzschaschels Gesicht hatte sich verändert, schien wächsern und bleich. Er lief zum Haus. »Können Sie mich hinbringen, Löwenstein?«
»Was ist passiert?« Ares folgte ihm.
»Ein Freund ist in Schwierigkeiten. Sein Sohn ist verschwunden … und ich bin gerade zu aufgeregt, um sicher zu fahren.«
»Kein Problem, Herr Tzschaschel. Nehmen wir Anatevka mit?«
Sie betraten das Anwesen.
Tzschaschel schüttelte den Kopf und eilte die Marmortreppen hinauf, vorbei an der bereitstehenden Russin, die ihm normalerweise einen Belohnungskuss erteilte.
Anatevka sah ihm verwundert nach, dann blickte sie zu Ares. Ihre gezupften, fein geschwungenen Augenbrauen schossen in die Höhe. »Was sein?« Wie immer redete sie in schönstem Falschdeutsch und mit dieser besonderen r-Betonung, die sexy klang.
»Ein Freund in Schwierigkeiten«, antwortete er. Das sollte Tzschaschel alles schön selbst erklären. Er bekam von ihr ein Glas Wasser gereicht, das er gerne trank.
Sie musterte zuerst Ares wie eine Katze ein Leckerli, dann ihre Fingernägel. Sie mochte es, zu schweigen. Insgeheim fragte er sich, ob sie jeden Mann, der
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