Totenblüte
aus der Welt. Zumindest nicht völlig. Er konnte ja auch jemand anders gebeten haben, bei Rebecca zu bleiben. Und wenn er verzweifelt genug gewesen wäre, hätte er sie sicher auch allein gelassen, ganz gleich, was er vor seiner Frau behauptete. Gleich morgen mussten ihre Leute den Nachbarn auf den Zahn fühlen und überprüfen, ob jemand zum Babysitten bestellt worden war oder irgendwer Geoffs Wagen aus der Garage hatte fahren sehen
. Sie holte tief Luft. «Können Sie sich vorstellen, wer Luke getötet haben könnte? Julie sagt, es hätte niemanden gegeben, der ihm etwas wollte, aber eine Mutter glaubt natürlich nie, dass ihr Sprössling auch nur irgendetwas falsch machen kann. Ich brauche einen Hinweis, einen Ausgangspunkt für die Ermittlungen.»
Aus dem Wohnzimmer hörte man, wie die Kleine ein Lied im Fernsehen mitträllerte. Vera verstand nicht viel von Kindern, hielt aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie derart pflegeleicht waren, für nicht sonderlich hoch. Dieser Haushalt hier war ganz anders als der in Seaton, wo Luke aufgewachsen war. Alles wirkte ruhig und geordnet. Die Familie war ein eingespieltes Team. Julie dagegen schien immer ein wenig Dramatik in ihrem Leben zu brauchen. Vera sah das Paar unverwandt an.
«Luke konnte einen schon auf die Palme bringen», sagte Armstrong. «Dabei wollte er das gar nicht. Er hat nur einfach oft nicht kapiert, was man von ihm wollte. Man bat ihn um etwas, und er schaute einen an, als wäre man selber blöd, weil man von ihm erwartet, dass er das begreift. Ich kann mir schon vorstellen, dass er sich damit manchmal Ärger eingehandelt hat. Manche von den Gestalten, mitdenen er so zu tun hatte, sind es gewohnt, dass man sie mit Respekt behandelt.»
«Die Sharps beispielsweise?»
«Möglich, ja.»
«Haben die Sharps Luke die Schuld am Tod ihres Sohnes gegeben?»
Darüber musste Armstrong offenbar ein Weilchen nachdenken. «Ich habe nichts mit denen zu tun», sagte er schließlich. «Ich kann es also nicht mit Sicherheit sagen. Aber sie sind zumindest nicht für übertriebene Geduld bekannt, wenn Sie wissen, was ich meine. Und unser Luke trieb noch den geduldigsten Menschen zur Weißglut. Wenn ihn beispielsweise einer von denen gefragt hätte, was genau an dem Abend passiert ist, als Thomas ums Leben kam, hätte Luke darauf nichts antworten können. Er wäre in Stress geraten und völlig durcheinandergekommen. Dann wäre ihm irgendwann kein Wort mehr eingefallen, und er hätte denjenigen einfach nur angestarrt. Und wie gesagt, das brachte einen auf die Palme. Es machte einen verrückt, selbst wenn man eigentlich gar nicht glaubte, dass Luke an der Sache schuld war.»
«Aber doch nicht verrückt genug, um bei ihm zu Hause vorbeizuschauen und ihn zu erwürgen», wandte Kath ein.
Armstrong zuckte die Achseln. «Sonst fällt mir keiner ein, der ihn umgebracht haben könnte.»
«Hat Luke Ihnen je von dem Unfall erzählt?»
«Nicht von dem Unfall direkt», sagte Kath. «Aber er war relativ kurz danach hier bei uns. Da hat er von den Blumen gesprochen, die sie in den Fluss geworfen haben. Er hat erzählt, wie schön das war. Julie war mit ihm dort, es schien ihn wirklich zu berühren. Es war sogar ein Foto davon auf der Titelseite des
Chronicle
, den hatte er mitgebracht, um es uns zu zeigen.»
Rebecca erschien in der Küchentür, blieb schüchtern stehen und beäugte neugierig die fremde Frau.
«Kannst du schon mal mit dem Abendessen anfangen, Geoff?», fragte Kath ihren Mann. «Ich muss mich langsam für die Arbeit fertig machen.»
Sie brachte Vera zur Haustür. In der Küche hatte Geoff das Radio eingeschaltet, und Rebecca und er sangen zu einem Popsong.
Vera hatte noch endlos viele Fragen. Sie wollte wissen, wie Kath und Geoff sich kennengelernt hatten. Was hatte sie an ihm gefunden? Wie hatte sie hinter der schroffen Fassade den hingebungsvollen Vater entdeckt? Aber das war wohl alles nur indiskret und ging sie auch gar nichts an, und so beschränkte sie sich auf eine einzige Bemerkung. «Ich habe gehört, Ihr Mann soll ziemlich jähzornig sein», sagte sie. «Davon merkt man ja nicht mehr viel.»
Kath hielt einen Augenblick inne, die Hand am Türknauf. «Er ist eben glücklich», sagte sie. «Er hat keinen Grund mehr, zornig zu sein.»
Vera fand, dass das etwas einstudiert klang. Viel zu schön, um wahr zu sein. Aber sie hakte nicht nach. Außerdem hatte sie noch einen Termin; sie musste einen weiteren Besuch machen.
KAPITEL ACHT
Felicity lag bei leicht
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