Totenblüte
geöffnetem Badezimmerfenster in der vollen, heißen Badewanne und dachte über die Vergangenheit nach. Eigentlich neigte sie nicht zum Grübeln, und sie fragte sich, woher das jetzt plötzlich kam. Vielleicht weil Peters sechzigster Geburtstag bevorstand, bei solchen Gelegenheitenwurde man ja mitunter ein wenig sentimental. Oder eine Stimmungsschwankung, bedingt durch die Wechseljahre? Oder die Begegnung mit Lily Marsh hatte sie ein wenig aus der Bahn geworfen. Sie beneidete die junge Frau um ihre Jugend und ihre Lebenslust, ihre straffe Haut und ihren flachen Bauch, und sie beneidete sie auch um ihre Unabhängigkeit.
Felicity selbst hatte zu jung geheiratet. Sie war Peter auf einer Party begegnet, ganz zu Anfang ihres Studiums, als sie gerade einmal sechs Wochen an der Uni war. Ihre Eltern hatten versucht, sie dazu zu bewegen, sich an einer Universität zu bewerben, die etwas weiter von zu Hause entfernt war, doch Felicity hatte auch so schon genug Angst vor dem Leben im Studentenwohnheim. Sie brauchte die Sicherheit des Pfarrhauses in erreichbarer Nähe, nur eine Stunde Fahrt entfernt, als Fluchtmöglichkeit. Ihr Vater war Pfarrer, ein sanfter Mensch, der es mit der Theologie nicht so genau nahm, mit der Nächstenliebe dagegen umso mehr. Schließlich fühlte Felicity sich aber überraschend wohl mit dem Studentenleben, sie genoss die neuen Freundschaften, die langen Nächte und vor allem die Begegnungen mit Männern. Sie stellte fest, dass sie anziehend auf sie wirkte. Ihre Schüchternheit schien gut anzukommen – vielleicht betrachteten Männer solche Zurückhaltung ja als Herausforderung. Felicity wusste allerdings nicht recht, wie sie darauf reagieren sollte, und so ließ sie sich treiben und fühlte sich verwirrt und ein klein wenig verloren dabei, wie Alice im akademischen Wunderland.
Eines Abends landete sie bei einer Party in einer studentischen Hausgemeinschaft in Heaton. Abgeschliffene Bodendielen, indische Baumwolltücher an den Wänden, fremdartige Musik und der betäubende Duft von Gras, densie erkannte, ohne ihn eigentlich zu kennen. Sie erinnerte sich noch, dass es ziemlich kalt dort war, obwohl sich so viele Leute in den Zimmern drängten. Es war Herbst, es hatte zum ersten Mal gefroren, und es gab keine Heizung im Haus. Draußen auf der Straße war das durchweichte Laub zu kleinen Hügeln gefroren.
Was hatte Peter überhaupt dort verloren? Eigentlich konnte er solche Veranstaltungen nicht ausstehen und fand es unter seiner Würde, nähere Kontakte mit Studenten zu pflegen. Und trotzdem war er da, in Cordhose und handgestricktem Wollpullover, und wirkte so völlig aus der Zeit gefallen, als käme er geradewegs aus einem Kingsley-Amis-Roman. Er trank Bier aus der Dose und schaute trübsinnig drein. Und obwohl er so gar nicht auf diese Studenten-Party passen wollte, war er für Felicity ein irgendwie vertrauter Anblick oder zumindest ein vertrauter Typus. In der Gemeinde ihres Vaters gab es einige solcher einsamen Männer, die sich zur Kirche hingezogen fühlten, weil man sie dort nicht abweisen würde. Der letzte Hilfsgeistliche war ganz entsetzlich schüchtern gewesen. Ihre Mutter hatte sich hinter seinem Rücken über ihn lustig gemacht, und die alternden Jungfern aus dem Dorf hatten mit Lammschmortopf und Früchtebrot um seine Zuneigung gewetteifert.
Doch als Felicity mit Peter ins Gespräch kam, stellte sie fest, dass er ganz anders war als die schmächtigen jungen Christen, die sie aus dem Sommerlager kannte, oder auch der liebenswürdige Hilfspfarrer. Peter war schroff und arrogant und trotz seiner seltsamen Aufmachung sehr von sich eingenommen.
«Eigentlich war ich hier mit jemandem verabredet», erklärte er verärgert. «Aber die Person ist nicht aufgetaucht. Eine kolossale Zeitverschwendung.»
Felicity war sich nicht einmal sicher, ob die unzuverlässige Verabredung nun ein Mann oder eine Frau war.
«Dabei muss ich noch Seminararbeiten korrigieren.»
Erst da wurde ihr klar, dass er gar kein älterer Student war. Man sah ihm nicht an, dass er dreizehn Jahre älter war als sie. Sein Status beeindruckte sie ungemein. Sie hatte sich schon immer zu Männern in verantwortlichen Positionen hingezogen gefühlt und mochte den Gedanken, mit jemandem zusammen zu sein, der die Zügel fest in der Hand hielt, Felicity anleiten und ihr den Weg weisen würde. Schließlich hatte sie wenig Erfahrung mit Männern und war überzeugt, alles falsch zu machen. Da war es doch besser, sich der Führung
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