Totenblüte
Julie war sicher keine ordentliche Hausfrau. Nicht so wie Kath in dem makellosen Reihenhaus in Wallsend.
Mrs Richardson erschien in der Tür. «Möchten Sie einen Tee, Inspector?»
«Das wäre toll.» Wenn ich noch mehr Tee trinke, dachte Vera, laufe ich wahrscheinlich über. Doch sie wollte nicht, dass die Mutter ihr Gespräch mit Julie mit anhörte. Sie setzte sich in einen Sessel mit einem braunroten Chenille-Überwurf und bedeutete Julie, sich auch wieder zu setzen.
«Es geht um Gary», sagte sie. «Gary Wright.»
Julie wandte ganz langsam den Kopf, bis sie Vera direkt ansah. «Was ist mit ihm?»
«Sie kennen ihn also?»
«Nicht gut.»
«Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm?»
«In der Nacht, als Luke ermordet wurde, war ich mit ihm zusammen. Also, nicht zusammen in dem Sinn. Wir waren die ganze Zeit in einem Club. Aber wir haben zusammen getanzt, zusammen gelacht.» Sie presste die Lippen zusammen, als fände sie allein den Gedanken an Lachen obszön.
«Das war aber nicht das erste Mal, dass Sie ihn getroffen haben?»
«Nein. Vor ein paar Wochen war ich mit meinen Eltern im Harbour Bell. An einem Sonntagnachmittag, kurz bevor Luke aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte. Laura war den Tag über bei einer Freundin. Und mein Vater ist ein großer Musikfan. Wenn man ihn lässt, kaut er einem stundenlang das Ohr ab mit seinen Geschichten von den guten alten Zeiten. Die Animals. Die ganzen Clubs in der Stadt, wo er in den Sechzigern immer war. Im Bell gibt es sonntagnachmittags immer Live-Musik, und diesmal spielte eine Band, die er sehen wollte. Ich war zum Mittagessen bei ihnen gewesen und bin einfach nur aus Jux mitgekommen. Aber es war schön. Und Gary hat den Sound gemacht.» Julie schwieg, dann sah sie Vera direkt an. «Wissen Sie, das könnte auch Monate her sein. Oder Jahre. Irgendwie hat sich seitdem alles verändert. Ich erzähle von mir, aber es kommt mir vor, als würde ich von jemand ganz anderem reden.»
«Das verstehe ich», sagte Vera.
«Gary hat mich zum Lachen gebracht», fuhr Julie fort. «Anfangs merkte man schon, dass er nur angibt. All die Geschichten über seine Arbeit. All die Musiker, für die er schon den Sound gemacht hat. Man hat gemerkt, dass er das jedem erzählt. Oder zumindest jeder Frau zwischen fünfzehn und fünfzig.»
Auch mir?, fragte sich Vera.
«Aber dann hat es irgendwie gefunkt. Wir haben festgestellt, dass wir auf derselben Grundschule waren, und über die Leute geredet, an die wir uns noch erinnern. Am Ende musste meine Mutter mich sogar holen kommen. Sie hatte Sorge, dass wir die Besuchszeit im Krankenhaus verpassen. Sie wollte mich an dem Tag begleiten, um Luke zu besuchen.»
«Und dann haben Sie sich in der Stadt verabredet?», fragte Vera.
«Nein. Es war keine Verabredung. Zumindest keine feste.» Doch Vera merkte Julie an, dass diese Verabredung durchaus wichtig für sie gewesen war. Etwas Besonderes. «Er hat mich gefragt, ob ich manchmal in der Stadt bin, und ich sagte, nein, so gut wie nie. Aber dann ist mir Jans Geburtstag wieder eingefallen und dass die Mädels mich gefragt hatten, ob wir an dem Abend zusammen ausgehen. Also habe ich gesagt, ich würde kommen. An dem Abend.»
Vera konnte sich das alles genau vorstellen. Die Mutter daneben. Julie, die ihren Ton möglichst beiläufig hielt, aber doch dafür sorgte, dass er sich das Datum merkte und die Namen der Läden, die die Freundinnen normalerweise aufsuchten.
Nein, ins Bigg Market gehen wir nie. Dafür sind wir schon ein bisschen alt.
Wahrscheinlich hatte sie den ganzen Abend nach ihm Ausschau gehalten. Und er war gekommen. Sie musste sich gefühlt haben wie eine Sechzehnjährige, berauscht und siegessicher. Und dann war sie nach Hause gekommen und hatte ihren Sohn gefunden, erdrosselt, mit Blumen bestreut.
Mrs Richardson kam aus der Küche, in jeder Hand einen Becher Tee. Vera nahm den einen entgegen und leerte dann den Großteil des Inhalts in den Topf einer traurigen Zimmerpalme, während die Mutter Kekse holen ging. Juliehatte den Blick auf den ausgeschalteten Fernseher gerichtet und merkte nichts davon.
«Köstlich, der Tee», bemerkte Vera und schlürfte den Rest. «Den habe ich gebraucht.» Jetzt saßen ihr beide Frauen gegenüber und sahen sie an. Vielleicht spürten sie ja, dass sie noch mehr zu sagen hatte. «Es gab noch einen weiteren Mord. Eine junge Frau, Studentin. Sie hieß Lily Marsh. Sagt Ihnen der Name irgendetwas?»
Sie schüttelten beide den Kopf. Aber sie
Weitere Kostenlose Bücher