Totenblüte
würde doch niemanden umbringen!»
«Natürlich nicht. Nur glauben die nun mal nicht an Zufälle.»
Felicity fand, dass das nicht alles sein konnte. Eine Frau, die Armstrong mit Nachnamen hieß und einen Sohn hatte. Wie viele Armstrongs fand man wohl im Telefonbuch? Samuel musste noch mehr wissen, als er ihr sagte.
Der Kellner brachte den Tee. Als er das Tablett auf dem Tisch abstellen wollte, schwappte einiges aus den Tassen. Er hielt inne, schien irgendeine Reaktion zu erwarten, dass die Gäste sich ärgern oder vielleicht beschweren würden. Doch sie blieben nur schweigend sitzen und warteten, bis er wieder verschwunden war.
«Meine Sorge war eigentlich eher, dass die Polizistin das mit uns herausfindet», sagte Felicity.
«Wie sollte sie?» Doch sie sah Samuel an, dass ihm der Gedanke auch schon gekommen war. Vielleicht war er ja deshalb so angespannt und gar nicht mehr so gewandt und selbstbewusst, wie sie ihn kannte.
«Ich hatte überlegt, ob wir ihr vielleicht im Vertrauen davon erzählen sollten», fuhr sie fort. «Dann weiß sie wenigstens, dass unsere Heimlichtuerei nichts mit dem Mord an dem Mädchen zu tun hat.»
«Aber da gibt es doch überhaupt keinen Zusammenhang!» Er klang ungeduldig. Sie konnte sich vorstellen, dass er in diesem Ton auch mit einer begriffsstutzigen Bibliotheksmitarbeiterin sprach. Tränen traten ihr in die Augen.
«Wir wissen das.» Sie versuchte krampfhaft, vernünftig zu klingen. «Aber Lily Marsh war immerhin am Tag vor ihrer Ermordung bei mir in Fox Mill. Da kann man sich doch vorstellen, dass die Polizei irgendwelche vorschnellen Schlüsse zieht. Was, wenn wir beispielsweise an dem Nachmittag zusammen gewesen wären und sie uns gesehen hätte? Das würde uns ein Motiv geben, sie zu töten.»
Eigentlich hatte sie eine aufbrausende Reaktion erwartet, doch Samuel lächelte. «Du solltest Romane schreiben», sagte er. «Bei dieser blühenden Phantasie. Wir waren ja schließlich nicht zusammen, stimmt’s? Zumindest nicht nachmittags. Ich habe am Mittwoch den ganzen Tag gearbeitet.Erst habe ich Bücher bestellt, dann hatten wir unsere Sitzung mit der Bibliotheksleitung. Das kann ich alles beweisen. Wir haben uns erst am Abend getroffen, um gemeinsam ins Theater zu gehen. Außerdem war doch auch James da, als diese Lily Marsh bei dir war.»
«Ja», sagte Felicity. «Stimmt.»
Samuel sah sich im Restaurant um. Es waren keine anderen Gäste mehr im Raum, die Kellner standen hinter der Theke und unterhielten sich. Er streckte den Arm über den Tisch und nahm ihre Hand. «Wie sollte denn irgendwer davon wissen?», sagte er. «Wir waren immer so vorsichtig. Ich fände es grauenvoll, wenn es herauskäme. Es würde so furchtbar schäbig wirken. Wie sollte das irgendwer verstehen?» Er ließ ihre Hand wieder los und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Er sprach immer noch leise, und sie hatte Mühe, ihn überhaupt zu verstehen. «Ich könnte es nicht ertragen, wenn Peter davon erführe. Das wäre mein Tod.»
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
Nach dem Gespräch mit Clive Stringer fuhr Vera Joe Ashworth nach Hause. Sie merkte, dass er sich um seine schwangere Frau und die kleine Tochter sorgte. Sie selbst kam jedoch nicht zur Ruhe. Sie schaute auf dem Revier in Kimmerston vorbei und rauschte dort durch die Büros, auf der Suche nach Antworten. Holly war nicht da, und nur Charlie hockte an seinem Schreibtisch und starrte auf den Bildschirm. Sein Abfalleimer quoll fast über: leere Coladosen, Hamburgerpackungen, fettige Frittentüten. Vera erinnerte sich, gehört zu haben, dass seine Frau ihn vor kurzem für einen Jüngeren verlassen habe. Wahrscheinlichgab es für ihn so wenig Grund wie für sie, Feierabend zu machen und nach Hause zu gehen.
«An Lily Marshs Konto ist nichts Ungewöhnliches», berichtete er. «Dieses Jahr hatte sie anscheinend etwas mehr Geld zur Verfügung, weil man für das Lehramtsaufbaustudium ein Stipendium bekommt, aber trotzdem hat sie ihr Studentendarlehen bis zum Anschlag ausgereizt. Keine seltsamen Überweisungen, die von einem reichen Liebhaber kommen könnten. Der Klamottenladen hat ihr das Gehalt direkt auf das Konto überwiesen, aber das war auch kein Vermögen. Etwas über dem Mindestlohn, aber nicht viel.» Er schwieg einen Moment. «Eins ist allerdings schon komisch. Ich habe keine Ahnung, wie sie ihre Miete bezahlt hat. Schecks sind keine verzeichnet, einen Dauerauftrag hatte sie auch nicht. Und es gab auch keine regelmäßigen
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