Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
Vom Netzwerk:
zurückhaltenden, langweiligen Mann erwartet. Auch Parr schien sich langsam zu entspannen.
    «Was hat Sie denn zum Vogelfreund gemacht?»
    «Ein guter Lehrer», sagte Samuel. «Er machte immer Ausflüge mit uns. Ich bin in einem großstädtischen Vorort aufgewachsen, für mich war es die reine Offenbarung, in die Berge zu kommen. Ich glaube, ich reagiere auf naturgeschichtliche Themen eher romantisch als wissenschaftlich. Ich habe einfach Freude am Schönen.»
    «Und Doktor Calvert kommt eher von der wissenschaftlichen Seite?»
    «Genau. Wir waren auf derselben Schule. Er ist zwar ein paar Jahre älter als ich, aber wir haben uns im Naturkunde-Club kennengelernt. Mit Beginn seines Studiums haben wir uns zwar unterschiedlichen Disziplinen zugewandt, sind aber trotzdem Freunde geblieben. Ihn zog es zu den Naturwissenschaften, ich liebte die Literatur.»
    «Warum hat er denn Botanik studiert und nicht Zoologie?»
    «Er hat immer gesagt, dass er die Vogelkunde als Kür und nicht als Pflicht betreiben möchte.»
    «Wussten Sie, dass Gary eine neue Freundin hat?»
    Der plötzliche Themenwechsel schien ihn nicht weiter zu irritieren. «Ich wusste, dass er sich in jemanden verliebt hat.» Er schwieg einen Moment. «Aber die ermordete Frau konnte es unmöglich sein. Sie war zwar genau sein Typ. Aber mit der Frau, über die er neuerdings sprach, schien es etwas anderes zu sein. Sie war wohl so alt wie er, ist früher mit ihm zur Schule gegangen. Wir haben ihn alle aufgezogen, ihn geneckt, dass er jetzt wohl auch langsam erwachsen wird. Er ist schon Mitte dreißig, aber bei uns war er immer noch der junge Wilde.»
    «Die neue Frau in seinem Leben heißt Julie Armstrong. Der Junge, der am Mittwoch vor Lily Marshs Tod erdrosselt in Seaton aufgefunden wurde, war ihr Sohn.» Vera hob den Kopf. «Wussten Sie das wirklich noch nicht? Sie sind doch so gut befreundet. Ich hätte erwartet, dass Ihnen das schon irgendwer erzählt hat. Die anderen wissen es alle.»
    «Möglich, dass sie versucht haben, mich anzurufen», sagte Samuel. «Aber ich war ja den ganzen Tag in Besprechungen und bin eben erst nach Hause gekommen.»
    «Wenn Gary der junge Wilde ist, welche Rolle hat dann Clive?» Vera merkte, dass sie ihren Wein ausgetrunken hatte, und stellte das leere Glas auf den Tisch. Sie fragtesich, ob er ihr wohl ein weiteres anbieten würde und ob sie es annehmen konnte, ohne über die Promillegrenze zu kommen.
    Samuel dachte einen Augenblick nach. «Clive ist ein Getriebener», sagte er dann. «Ein exzellenter Vogelkundler. Mit Abstand der beste von uns allen. Er liest Bestimmungsbücher so wie ich Romane und merkt sich jedes Wort davon. Abends beim Bier ist er nicht gerade der spritzigste Gesprächspartner. Er bringt uns nicht zum Lachen, wie Gary oder auch Peter, wenn er mal gut aufgelegt ist. Aber er findet jeden Vogel für uns. Und er erinnert uns immer wieder daran, was uns einmal zusammengeführt hat.»
    «Wo waren Sie am Freitag, bevor Sie zu der Geburtstagsgesellschaft nach Fox Mill gefahren sind?»
    Er musterte sie über den Rand seines Glases hinweg. «Bin ich etwa verdächtig, Inspector?» Er wirkte keineswegs verärgert, schien die Vorstellung eher amüsant zu finden.
    «Ich muss jeden als Verdächtigen ausschließen können, der mit dem Opfer irgendwie in Kontakt stand.»
    «Ich stand aber nicht in Kontakt mit ihr. Zumindest nicht, solange sie noch am Leben war.» Samuel stellte sein Glas ab. «Entschuldigen Sie, Inspector. Ich sollte das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Natürlich müssen Sie Ihre Fragen stellen. Am Freitagnachmittag habe ich in der Bibliothek hier in Morpeth gearbeitet. Ich hatte noch ein paar Überstunden und bin etwas früher gegangen. Gegen vier. Danach war ich zu Hause. Ich wollte eine Geschichte umschreiben, um sie noch fertig zu machen und am Abend mitnehmen zu können.»
    «War das ein Geschenk für Doktor Calvert? Etwas, das Sie speziell zu seinem Geburtstag verfasst hatten?»
    «Keineswegs. Peter liest keine Belletristik. Aber Felicity hat Freude an meiner Arbeit, und ich weiß ihre Meinungimmer zu schätzen. Ich wollte, dass sie einen Blick auf die Geschichte wirft, bevor ich sie meinem Agenten schicke.»
    Vera hätte gern gefragt, wovon die Geschichte handelte, wusste aber, dass das vermutlich nebensächlich war. Vielleicht wollte sie auch nur das Ende des Gesprächs hinauszögern, um nicht in ihr leeres Haus zurückzumüssen.
    «Kann jemand bezeugen, dass Sie hier waren? Gab es vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher