Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
Vom Netzwerk:
Bargeldentnahmen.»
    «Möglicherweise hatte sie ja noch ein anderes Konto», sagte Vera. «Bei einer anderen Bank. Einer Direktbank im Internet zum Beispiel. Vielleicht gibt es Hinweise in den Unterlagen, die wir in der Wohnung sichergestellt haben. Kümmern Sie sich drum, Charlie. Sie hat über ihre Verhältnisse gelebt. Eigentlich müsste sie enorme Schulden haben, aber die hat sie nicht. Da kann also irgendwas nicht stimmen.» Damit marschierte sie hinaus, ohne dass er etwas einwenden konnte.
    Anschließend machte sie sich auf den Heimweg, obwohl sie wusste, dass sie gleich anfangen würde zu trinken, wenn sie dort war. Sie war in dieser Stimmung. Zuerst ein großer Whisky, dann würde sie sich etwas zu essen zusammensuchen, und von da an ging es nur noch bergab. An der Ausfahrt nach Morpeth beschloss sie spontan, Samuel Parr aufzusuchen. Dann hatte sie sie alle gesehen. Die ganze Clique. Die vier Vogelfreunde, die alle behaupteten, nichtsweiter mit dem Mord zu tun zu haben, außer dass sie zufällig die Leiche entdeckt hatten. Aber trotzdem waren alle irgendwie in den Fall verwickelt. Gary, der sich in Luke Armstrongs Mutter verliebt hatte. Clive, der Luke Armstrongs besten Freund als Kind gekannt hatte. Und Peter Calvert, der an derselben Universität unterrichtete, wo Lily Marsh studiert hatte. Hier im Nordosten Englands gab es zahllose kleine Gemeinschaften, die alle irgendwie miteinander verknüpft waren. Man fand immer Verbindungen. Vielleicht hatte das ja alles nichts zu bedeuten, aber sie konnte die Tatsachen dennoch nicht einfach ignorieren. Und wie passte Samuel Parr ins Bild?
    Er schien eben erst nach Hause gekommen zu sein. Als sie an der Tür des kleinen Steinhauses klingelte, öffnete er ihr praktisch sofort. Er musste noch in der Diele gestanden haben. Auf der untersten Treppenstufe stand eine Aktentasche. Er trug ein leicht zerknittertes Leinensakko.
    «Passt es Ihnen gerade?», fragte Vera. Samuel Parr war so etwas wie eine lokale Berühmtheit. Sie hatte sich über ihn informiert. Seine Kurzgeschichten wurden im Radio vorgetragen, und für seine Verdienste um das Bibliothekswesen hatte er einen OBE, den britischen Verdienstorden, bekommen. Sie musste ihn also mit etwas Respekt behandeln. Anfangs zumindest.
    «Aber natürlich, Inspector. Kommen Sie doch herein. Es geht wahrscheinlich noch um die Sache von Freitag? Furchtbare Geschichte.» Er zog sein Sakko aus und hängte es ans Treppengeländer. «Ich bin gerade erst nach Hause gekommen. Eine Sitzung in Berwick. Und der Verkehr auf der A1 war eine Katastrophe.» Er war groß, hager und hatte auffallend kurzes Haar.
    Vera erinnerte sich, eine seiner Geschichten im Radio gehört zu haben. Sie sah nicht viel fern, aber das Radiolief bei ihr eigentlich die ganze Zeit. Es war eine Dreiecksgeschichte gewesen. Ein Mann und eine Frau, die eine lieblose Ehe führen. Ein Neuankömmling in der Stadt, der zum Liebhaber wird. Das Ende war furchtbar gewesen und absolut unvorhersehbar: Das Paar tat sich zusammen, um den Liebhaber zu ermorden. Die Stabilität und Gewohnheiten ihrer Ehe waren ihnen wichtiger als die Liebe. Vera versuchte vergeblich, sich ins Gedächtnis zu rufen, was sie anschließend mit der Leiche gemacht hatten. Sie erinnerte sich nur noch, wie verstörend das alles gewesen war. Keine expliziten Beschreibungen der Gewalttat und doch so bedrückend, dass die Geschichte sie noch tagelang verfolgt hatte. Vielleicht sogar so bedrückend, dass sie das Ganze verdrängt hatte und sich jetzt nicht mehr an Einzelheiten erinnern konnte. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass dieser ruhige, nicht mehr ganz junge Mann, den sie da vor sich hatte, sich diese Geschichte ausgedacht haben sollte. Sie nahm sich vor, sich seine Kurzgeschichten aus der Bibliothek auszuleihen und nachzulesen, wie die Geschichte endete.
    «Ich genehmige mir um diese Zeit meist ein Glas Wein. Kann ich Sie vielleicht auch dafür begeistern?»
    Vera war überzeugt, dass er ihr den Klischee-Bibliothekar vorspielte. So redete er ganz sicher nicht, wenn er auf dem Ausguck saß und ein Sturm von Norden her Schwärme von Raubmöwen herantrieb. Da würde er genauso lärmen und fluchen wie die anderen auch.
    «Ja, vielen Dank», sagte sie.
    «Ich habe allerdings nur Rotwein. Ich lebe allein und kaufe nur das, was ich selber brauche.»
    «Haben Sie nie geheiratet, Mr   Parr?»
    «Ich bin Witwer.» Er schwieg einen Augenblick. «Claire, meine Frau, hat Selbstmord begangen.»
    «Das tut mir

Weitere Kostenlose Bücher