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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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weil sie dieses öde, unaufregende Eheleben führte, weil sie die Calvert-Fassade aufrechterhielt. Ihr war natürlich klar, dass Frauen solche Dinge normalerweise anders sahen, fand aber, es gebe keinen Grund, weshalb sie nicht alle weiterhin wie zivilisierte Menschen miteinander befreundet sein sollten. Zumindest hatte es keinen Grund gegeben, bis Vera Stanhope mit ihren Fragen dazwischengekommen war.
    Jetzt ging sie zwischen den Bücherregalen umher, als fiele es ihr schwer, sich für ein gutes Buch zu entscheiden. Sie konnte Samuel nirgends entdecken, aber vielleicht war er ja trotzdem hier. Er war leitender Bibliothekar, besaß sicherlich ein eigenes Büro, irgendwo hinter dieser Tür mit der Aufschrift ZUTRITT NUR FÜR PERSONAL. Wahrscheinlich war er dort oder in einer Mitarbeiterbesprechung, oder aber er war tatsächlich nicht da, sondern unterwegs zu einem der führenden Bibliothekslieferanten, um neue Bücher auszusuchen. Sie ermunterte ihn immer, von seiner Arbeit zu erzählen, wenn sie in seinem kleinen Haus in Morpeth noch einen Tee zusammen tranken, bevor sie sich wieder trennten. Das Berufsleben anderer Leute faszinierte sie, und wenn sie nachmittags in der Badewanne lag, stellte sie sich vor, wie er jetzt an seinem großen Schreibtisch saß oder gewohnt präzise und kompetent eine Besprechung leitete. Sie fand es aufregend, dass keiner seiner Mitarbeiter sich auch nur ansatzweise vorstellen konnte, was er an seinen freien Tagen so trieb.
    Sie hatte gerade beschlossen, an der Ausleihe zu fragen, ob er überhaupt im Haus war, als Samuel aus der Tür mit der Aufschrift ZUTRITT NUR FÜR PERSONAL trat. Er hatte seine Aktentasche in der Hand und war offensichtlich im Aufbruch. Die oberen zwei Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet, und er trug eine helle Leinenjacke, was wohl ein Zugeständnis an das Wetter sein musste. Wenn sie sich sonst trafen und er direkt von der Arbeit kam, trug er grundsätzlich Krawatte. Er kleidete sich immer sehr korrekt und achtete auch sonst auf sein Äußeres. Erst sah er sie nicht, lächelte nur die junge Frau an, die an der Ausleihe saß. Felicity verspürte einen Anflug von körperlichem Unwohlsein, das sie als Eifersucht erkannte. Sie fragte sich, ob er an seinen freien Nachmittagen wohl auch noch andere Frauen mit nach Hause nahm.
    Dann drehte er sich um und sah sie. Er ließ sich nicht anmerken, dass sie sich kannten. Zu der jungen Frau sagte er: «Ich bin für den Nachmittag in Berwick. Falls jemand anruft, soll er es bitte morgen nochmal versuchen. Es ist eine wichtige Besprechung, da möchte ich wirklich nicht gestört werden.»
    Draußen holte Felicity ihn ein. Er ging den Bürgersteig entlang zu seinem Wagen. Wäre sie ihm nicht nachgerannt, er wäre einfach losgefahren, ohne ihr auch nur die Möglichkeit zu geben, mit ihm zu reden.
    «Entschuldige, Samuel. Ich muss dich unbedingt sprechen.»
    Er musste ihre Schritte hinter sich gehört haben. Trotzdem tat er überrascht.
    «Ich habe wirklich eine Besprechung in Berwick.» Er hatte die Stirn gerunzelt, wirkte aber eher nervös als ungehalten.
    «Nur zehn Minuten.» Jetzt, wo sie vor ihm stand, warsie sich gar nicht mehr sicher, was sie eigentlich von ihm wollte. Vielleicht ja nur die Sicherheit, dass alles genau so weitergehen würde wie bisher.
    Sie vereinbarten, sich im Little Chef, dem Raststättenlokal an der A1, zu treffen, und als Felicity ankam, saß Samuel bereits dort, scheinbar in die Speisekarte vertieft. Sie spürte seine Angst schon, als sie auf ihn zuging, spürte seine Verunsicherung, die fast größer war als ihre. Das Lokal war praktisch leer. Die Fenster standen offen, von draußen drang der Verkehrslärm herein. Sie bestellten Tee bei einem verschwitzten jungen Kellner, dann sahen sie einander an.
    «Du weißt etwas», sagte Felicity unvermittelt. «Über diese junge Frau. Lily. Hast du sie gekannt?»
    «Nein. Das ist es nicht.» Doch er schien sich nur schwer beherrschen zu können und wirkte gar nicht so kontrolliert wie sonst immer. Das hier fand nicht in einer seiner Kurzgeschichten statt: Hier war nicht er es, der sorgfältig die Handlung konstruieren konnte.
    «Und den Jungen? Luke Armstrong. Kanntest du ihn?»
    «Ich glaube, Gary hat was mit seiner Mutter. Dieser Frau, von der er die ganze Zeit redet. Sie heißt Armstrong. Und ich bin mir sicher, dass sie einen Sohn hat. Da besteht eine Verbindung.»
    «Ich habe der Polizistin auch gesagt, dass Gary gerade mit einer Julie zu tun hat. Aber er

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