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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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haben?«
    Van Leeuwen sagte: »Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass er ein Mordmotiv hatte.«
    »Sie irren sich! Pieter könnte niemand umbringen, dazu wäre er nie in der Lage. Sie liegen ganz falsch, und ich möchte, dass Sie jetzt gehen, bitte!« Sie tat ein paar Schritte in Richtung Tür, als wollte sie ihm zeigen, wie man weggeht, wenn man in einem Haus nicht mehr willkommen ist. Er folgte ihr, und als er an den Blumen vorbeiging, wurde der süße Duft fast betäubend intensiv. Jetzt erkannte Van Leeuwen auch den anderen Geruch: Es war ein Hauch von Schwefel. Er sagte: »Auf Wiedersehen, Mevrouw Zuiker, ich hoffe, ich muss Sie nicht noch einmal stören«, aber sie antwortete nicht.
    Van Leeuwen ging durch den dunklen Korridor und aus dem Haus, und als er draußen auf der schmalen Straße mit den Akazien und den kleinen Läden, Galerien, Cafés und Ateliers stand, dachte er, dass es noch immer ein schönes Haus in einer stillen, gepflegten Gegend war. Auch die anderen Häuser waren schön, und in den bleigrauen Mauern saßen kleine, weiß umrahmte Fenster, deren Scheiben jetzt den geröteten Abendhimmel und die Kronen der Akazien widerspiegelten. An den Türen hingen immer noch Klingelschilder aus Messing, in die mit fein geschwungenen Buchstaben die Namen der Wohnungseigentümer geprägt waren. Aber, dachte der Commissaris, in manchen dieser Häuser gab es andere Türen, die man besser nicht öffnete, und Schlüssellöcher, durch die man geradewegs in die Hölle blicken konnte.

15
    Der Commissaris ging zu Fuß. Er war hungrig, aber das Geld, das er lose in der Hosentasche trug, reichte nur für einen Imbiss aus dem Automaten. Er marschierte über den Museumsplein zur Stadhouderskade. Es wurde schnell dunkel, und die Nächte waren jetzt nicht mehr warm. Über der Singel stand feuchter Nebel, durch den die Lichter der Bar im American Hotel schimmerten. Dahinter teilten die unablässig klingelnden Straßenbahnen die Menschenmenge auf dem Leidseplein, und Van Leeuwen schob sich durch das Gedränge der Passanten. Die dicht stehenden Tische auf dem kleinen Platz waren dank der Heizstrahler unter den aufgespannten Straßenschirmen voll besetzt. Aus den offenen Türen der Fast-Food-Restaurants und Bierhallen dröhnte Musik, und die Glühbirnen an den Fassaden der Häuser rings um den Platz flackerten und flimmerten, als wollten sie dem Strip in Las Vegas Konkurrenz machen.
    In der Leidsestraat hielt Van Leeuwen geradewegs auf den Eingang des Febo zu. Der Geruch von Pommes frites und Chicken wings empfing ihn vor den beleuchteten Automatenfächern mit frisch zubereiteten Grillburgern, Kassasouffléröllchen, Kipburgern und frittierten Fisch- und Lammkroketten. Zu seinen Füßen suchten ein paar Tauben den schmutzigen Kachelboden nach heruntergefallenen Resten ab. Der Commissaris entschied sich für eine Satékrokette mit Ragoutfüllung, die er im Stehen neben dem Abfalleimer herunterschlang, bevor er, noch kauend, einen Feboburger zog.
    Beim Essen beobachtete er den jungen Indonesier im weißen Kittel, der an der Grillplatte hinter der Automatenwand mit schnellen, genau bemessenen Bewegungen die rohen Burger auf die heiße Platte warf. Er sah zu, wie der Junge die Salatblätter bereitlegte, die gefüllten Kroketten in die Fritteusen unter den Wärmelampen gleiten ließ, dann die Burger umdrehte, Zwiebeln schnitt und Brötchen zerteilte, bevor er die Burger zwischen den pappigen Brötchenhälften verstaute, mit Salatblättern und Zwiebeln garnierte,Pappdeckel unter die Brötchen schob und die Rückseite der Fächer öffnete, um sie mit den fertigen Burgern zu füttern. Anschließend kratzte er die Grillfläche mit einem Schaber ab, fischte die gebräunten Kroketten in dem Frittierkorb aus dem siedenden Öl und öffnete die nächste Packung mit tiefgefrorenen Rindfleischscheiben, die er auf die Grillplatte warf wie Pokerkarten – neues Spiel, neues Glück.
    Van Leeuwens Gedanken wanderten von dem Jungen aus Indonesien zu Ruud Meijer aus Slotervaart, dem Schüler Gerrit Zuikers. Er dachte an die merkwürdige Reaktion des Jungen, als er angedeutet hatte, sein Lehrer könnte ihm gegenüber eine Grenze überschritten haben. Vielleicht habe ich an etwas gerührt, das er vor sich selbst niemals zugeben kann, dachte er. Etwas, das so tabu ist, dass er eher töten würde, als darüber zu sprechen. Oder ich habe selbst eine Grenze überschritten, die ich in seinen Augen nicht hätte überschreiten dürfen. Vielleicht

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