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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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Augen blieben trocken, und das Schluchzen konnte auch ein Lachen sein. Van Leeuwen fragte sich, woran ihn das erinnerte, die schrillen Stimmen, die in verschiedenen Tonlagen aus ihr zu sprechen schienen, während die beiden Streicher im Radio die Saiten ihrer Instrumente mit den Bögen mehr schlugen als strichen.
    »… und ich ging zurück nach Hause, so schnell ich konnte, ich wollte mit Gerrit reden, ihn davon überzeugen, dass wir auch zusammen glücklich sein könnten. Ich wollte heimgehen und alles kitten, was zwischen uns zerbrochen war, ich wollte ihn bezaubern und verzaubern und unsere Liebe zurückholen, wollte die Zeit zurückdrehen bis zu dem Punkt, wo alles wieder wie früher sein würde: wo es nur uns beide gab, keinen Pieter und überhaupt keine anderen Männer, wo ich nur ihm gehörte …«
    Sie schüttelte den Kopf und warf die Haare zurück, und bei überhaupt keine anderen Männer stampfte sie mit dem nackten Fuß auf wie ein Kind, das seinen Willen durchsetzen wollte.
    »… aber dann kam ich nach Hause und ging die Treppe hinauf, und auf halber Treppe hörte ich schon dieses Lied: Help me if you can , und alles war vorbei. All die schönen Gedanken wurden weggeweht wie von so einem heißen Luftstoß in den Filmen über die erste Atombombe, und was ich noch von Gerrit an mir trug, wurde auch weggewischt. Ich konnte richtig spüren, wie es sich löste und starb.«
    Ihre Stimme überschlug sich und wechselte jetzt fast fließend Lautstärke und Tonart, sie kippte so grundlos von jähem, verzweifeltem Lachen in das tränenlose Schluchzen, dass der Commissaris sie am liebsten gepackt und geschüttelt hätte, damit sie wieder zu sich kam, bevor er dasselbe mit den Streichern im Radio tat.
    »Und dann machte ich kehrt und rief Pieter an, und Pieter – er hätte das nicht machen dürfen, er … er hätte mich zurückweisen müssen, aber dazu war er nicht stark genug, er war auch schwach, genau wie Gerrit. Ist ja gut, Margriet «, sie ahmte die tiefe Stimme Hoekstras nach, » komm zurück, wenn dir danach ist. Ich bin immer für dich da!« Abrupt hielt sie inne und wechselte zu einem kindlichen Singsang. »Man sollte sich vor schwachen Männern hüten, nicht? Männer wie Gerrit und Pieter sollten kleine Glöckchen um den Hals tragen wie früher die Aussätzigen. Sie sollten Glöckchen tragen, die klingeln, damit man sie kommen hört, und dabei sollten sie auf Schritt und Tritt Unrein, unrein rufen, um andere vor der Berührung zu warnen!«
    Der Commissaris hatte das Gefühl zuzuschauen, wie eine Seele, ein Herz sich wanden und schrien, aber es waren nicht die Seele oder das Herz eines Erwachsenen, sondern die eines Kindes, die in dieser schönen Frau eingeschlossen waren. Irgendwann vor vielen Jahren war sie in ihrer Entwicklung stehen geblieben, etwas hatte sie heimgesucht und zu ihr gesagt: Nicht weiter, bleib so. Erwachsen werden ist schrecklich .
    Und jetzt wohnte er einem Exorzismus bei.
    Plötzlich verstummte sie und betrachtete ihn mit halb geschlossenen Augen, misstrauisch; ich weiß, was du jetzt denkst, mein Lieber, glaub bloß nicht, dass ich das nicht weiß . »Sie meinen, ich suche mir solche Männer aus, oder?«, fragte sie. »Aber so ist es nicht. Am Anfang weiß man das ja nicht, oder? Wenn man die Wahl hat zwischen Liebe und Unglück oder Verzicht und Einsamkeit – was soll man wählen?«
    »Kleinere Worte.« Van Leeuwen holte wieder seinen Notizblock hervor. »Wo waren Sie letzten Freitag, nachts zwischen dreiundzwanzig Uhr und ein Uhr morgens?«
    »Ich – ich war mit Pieter zusammen. Als Gerrit nicht nach Hause kam, habe ich ihn angerufen, weil ich dieses … weil ich die leere Wohnung nicht ertragen habe, und er meinte, ich könnte vorbeikommen und bei ihm bleiben.«
    »Mijnheer Hoekstra hat aber ausgesagt, er wäre allein gewesen.«
    »Das hat er bestimmt gesagt, um mich zu schützen – meinen Ruf … Stehe ich denn … stehe ich denn jetzt unter Verdacht?«
    »Ich weiß nicht, welchen Status Sie gerade genau haben – Sie und Pieter Hoekstra«, antwortete der Commissaris, während das Klavier im Radio nun die beiden Streicher vor sich hertrieb. »Vielleicht waren Sie Freitagnacht gar nicht bei ihm, sondern hier, während Mijnheer Hoekstra in de wallen war.«
    »Sie glauben … Sie glauben doch nicht, Pieter könnte Gerrit ermordet haben?«
    »Vielleicht hatte er das Gefühl, Ihr Mann stünde Ihrer gemeinsamen Zukunft im Weg«, gab Van Leeuwen zu bedenken. »Und vielleicht haben

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