TotenEngel
Sie den Mann, der angeblich Ihr Haus beobachtethat, den Mann, den Gerrit gesehen haben will, nur erfunden, um Ihren Liebhaber zu entlasten.«
Margriet schwieg. Ihr Gesicht wirkte fassungslos und verletzt wie die Miene eines Kindes, dem man vorgeworfen hatte, immer nur an sich selbst zu denken.
Van Leeuwen fragte: »Wusste Ihr Mann eigentlich von Ihrer Affäre mit Pieter Hoekstra?«
»Ja … ja, er wusste davon, da bin ich mir sicher … Er wusste, dass ich mit seinem besten Freund schlief, und er hat ihn nicht zur Rede gestellt, keinen von uns. Er hat nicht gesagt, hört damit auf, ich verbiete es dir , nichts davon!«
»Und deswegen haben Sie ihn verachtet«, erwiderte der Commissaris und spürte, wie sein Blut sich erhitzte und ihm in die Schläfen stieg und weiter bis hinter die Stirn. »Sie haben nicht sich verachtet oder Pieter Hoekstra, sondern Ihren Mann.« Es ist doch nicht vorbei, dachte er; es ist nicht mit Simone gestorben und begraben worden. »Wenn man jemanden verachten kann, muss man keine Schuldgefühle haben, falls er irgendwo auf halbem Weg den Baumstamm hinauf vertrocknet, während man selbst weiterkrabbelt, nicht?«
»Ich wollte immer Kinder«, sagte Margriet übergangslos. »Ich hätte so gerne Kinder gehabt.«
Van Leeuwen hielt unwillkürlich den Atem an: Es schien, als fügte sich plötzlich ein weiteres Stückchen Wahrheit an seinen Platz.
»Aber Gerrit nicht«, fuhr sie fort, »Gerrit wollte keine Kinder. Er sagte immer, er wäre dem nicht gewachsen – der Verantwortung … der Sorge … Kinder seien immer in Gefahr, sie seien schwach, jederzeit könnten sie zur Beute werden … Du meine Güte, als Lehrer hat er sie vergöttert, alles hat er für sie getan. Aber selbst welche in die Welt setzen … und für sie da zu sein … Vater zu werden und sie großzuziehen? Ich wäre ihnen eine gute Mutter gewesen – das wäre ich wirklich …«
»Haben Sie deswegen mit einem anderen Mann geschlafen, um vielleicht doch noch Kinder zu bekommen?«
Hast du dich deshalb mit diesem Sandro eingelassen, Sim, weil ich keine Kinder haben wollte? War es deswegen?
Margriet sah sich verwirrt um. »Ich weiß nicht … ich weiß überhaupt nichts mehr … Sie stellen so viele Fragen, die ich gar nicht verstehe. Ich habe doch nicht dauernd über alles nachgedacht.«
»Oder mochte Gerrit Kinder auf ganz andere Weise, nicht als Vater, sondern mehr als Mann? Als Liebhaber?«
Margriet sah den Commissaris lange an, so aufmerksam, fast suchend wie Ruud Meijer am Vormittag auf dem Schulhof. »Ich weiß es nicht«, wiederholte sie schließlich roboterhaft. »Ich weiß es wirklich nicht. Er hat … er hat so was nie angedeutet, aber wenn jemand so ist, so verzweifelt, wer weiß, wohin er sich wendet, um Trost zu finden?«
Das Klaviertrio im Radio beendete seine Darbietung mit einem Crescendo, das selbst ein beträchtliches Maß an Verzweiflung zum Ausdruck brachte. In die plötzliche Stille fiel ein Glockenton, der Werbung ankündigte, dann rief eine aufgeregte Stimme: » De Avond! Jeden Tag das Neueste aus Politik, Sport und der Welt des Entertainment! Schnelle Nachrichten, klare Kommentare, zupackende Analysen! De Avond! Schonungslose Interviews, die besten Fotos, außerdem alles rund um Ihr Viertel, so aktuell wie nie! Lesen Sie heute: Freispruch für Doktor Death! Und jeden Samstag neu und exklusiv nur bei uns: Samariter.nl – die Kolumne, die sich um dich kümmert. Schreib uns dein Problem, und der Samariter hilft dir!«
Margriet Zuiker rannte fast zu dem Radioapparat und schaltete ihn ab.
Van Leeuwen sagte: »Bei meinem letzten Besuch haben Sie erzählt, die Schüler seien Gerrits Ein und Alles gewesen, mehr oder weniger sein ganzes Leben. Hat er vielleicht einen öfter erwähnt als andere?«
»Ja, einen, jetzt erinnere ich mich – es gab einen, Ruud hieß er, glaube ich. Er hat ihn einmal mitgebracht, er schien ihn zu mögen. Beide schienen sie sich zu mögen … Meinen Sie – meinen Sie, es war … es gab etwas zwischen ihnen?«
»Alles ist möglich«, antwortete der Commissaris. »Wissen Sie übrigens, wo Mijnheer Hoekstra sich gerade aufhalten könnte?«
»Pieter? Nein, in der Schule vielleicht.«
»Da ist er nicht mehr. Er hat sie gleich, nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, verlassen. Hier war er nicht zufällig?«
»Wann, heute? Nein. Haben Sie es schon bei ihm zu Hause versucht?« Sie warf wieder den Kopf zurück. »Was wollen Sie denn noch von ihm, wenn Sie schon mit ihm gesprochen
Weitere Kostenlose Bücher