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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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voller Verlangen und Lust, die er längst vergessen geglaubt hatte. Später, in der Nacht, kehrte diese Lust zurück. Das Verlangen brannte in Simones Körper und steckte Van Leeuwen an. Sie liebten sich, sie konnten nicht aufhören, und selbst als sie schon ganz leer und erschöpft waren, lief immer noch ein Schauer durch ihre Körper, wie Wellen, die über einen Strand spülten, vor und zurück.
    Bruno , flüsterte sie heiser, Bruno. Er lag neben ihr mit wild schlagendem Herzen und wusste, dass sie mit ihm eben auch ein letztes Mal ihr gemeinsames Leben umarmt und losgelassen hatte, alles, was bis jetzt an Gutem und Schlechtem gewesen war – ihr Leben und ihn. Dann setzte sie sich auf, noch immer nackt, die Haut feucht und glänzend von Schweiß. Sie zog die Beine an, schlang die Arme um die Schenkel und ließ ihren Kopf auf die Knie sinken. Das Haar, das auch damals noch lang und blond war, fiel ihr in dunklen Strähnen über die Arme bis hinunter zu den farblos lackierten Zehennägeln. Auf Wiedersehen, Bruno, Liebster , sagte sie zu ihrem Schoß.
    Er sah sie an, während sein Herz sich in einen Stein verwandelte. Ich bin bald nicht mehr da , fuhr sie fort. Liebe mich trotzdem weiter, bitte. Sie sah auf und schaute ihn an, mit einem verlorenen Blick, in dem ihr ganzer Mut lag.
    Danach redete sie immer seltener und benutzte dabei immer weniger Wörter, und was sie sagte, hatte fast keinen Zusammenhang mehr. Sie schnitt sich das Haar igelkurz.
    Aber er hatte sie trotzdem weiter geliebt, denn alles, was er tat im Leben, war ja für sie. Nur manchmal hatte er das Gefühl gehabt, als ginge es nicht mehr, nicht einen Tag, nicht eine Minute; als bekäme er keine Luft mehr. Ich ersticke, hatte er gedacht.
    Der menschliche Kummer ist so groß wie das menschliche Herz. Wer war es, der das gesagt hatte? Es stand irgendwo in den Büchern in seinem Büro, aber er war zu müde, um das Buch oder die Stelle zu suchen. Er stand auf, schaltete alle Lichter aus, griff nach Schlüsselbund und Mantel und ging zum Bahnhof, um zu schlafen.

17
    Die Frau hielt die Tulpenzwiebel ganz fest in der linken Hand und wartete. Sie stand in der Tür des Gewächshauses und sah auf die Felder hinaus und dachte: Du darfst nicht darauf achten. Wenn du nicht darauf achtest, geht es weg . Sie spürte, wie die Zwiebel warm wurde, und sie spürte die Schmerzen, auf die sie nicht achten durfte. Geht weg, bitte, bitte, bitte, geht weg !
    Vor ihren Augen erstreckten sich die blühenden Tulpenfelder bis zu dem kleinen Birkenhain am Horizont, endlose Reihen von roten Abba, gelben Monte Carlo und weißen White Dream an dünnen grünen Stängeln. Dazwischen flammten Scharlachkelche in der Morgensonne, rosa Peach Blossom wogten sacht im Wind. Es gab unter dem hohen blauen Oktoberhimmel riesige Flächen nur mit leuchtenden Orange Nassau und karminroten Rococo mit feurigem Rand. Dort, wo die Felder endeten, wehten gelbeBirkenblätter von den Bäumen und schwebten zwischen den schlanken Stämmen zu Boden.
    Die Frau spürte die Zwiebel in ihrer Hand nicht mehr. Sie sah das Meer der Tulpen – einfache und gefüllte, gefiederte, gestreifte, gezackte und gekräuselte –, ein Meer, das nur in ihr existierte und mit seinem süßen Duft die Schmerzen betäubte. Es war ja Herbst, ein Morgen im Herbst, und die Felder lagen kahl und braun vor ihr. Allein die Birken und das gelbe Laub waren Wirklichkeit. Sie drehte sich zu dem Gewächshaus um, in dessen Tür sie stand. Auch das Glashaus war Wirklichkeit und die anderen Glashäuser, die rechts und links davon lagen, voll mit Artischocken, Lavendel, Lupinen und Fuchsien. Die schrägen Dächer brachen das Sonnenlicht, und an den durchsichtigen Wänden sammelte sich die Luftfeuchtigkeit.
    Der Mann kam über die Felder. Er kam über die umgepflügte Erde, die auf die Gärtner mit den Zwiebeln wartete, aber er war kein Gärtner, und er ging auch nicht wie jemand, der sich viel um Blumen scherte. Die Frau sah ihn aus dem Birkenwäldchen treten, unter den tanzenden gelben Blättern hervor, und am Anfang war er kaum größer als ein Punkt. Sie musste die Augen zusammenkneifen, um ihn erkennen zu können. Als er größer wurde, sah sie, dass er einen offenen Regenmantel trug und Gummistiefel, mit denen er in den aufgeworfenen Erdfurchen versank. Er ging sehr zielstrebig und entschlossen, beide Hände in den Manteltaschen vergraben.
    Um diese frühe Stunde kurz nach Sonnenaufgang war die Frau noch allein auf der Tulpenfarm, denn sie

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