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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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letzte Frau in meinem Leben gewesen ist.« Die erste und die letzte und die einzige, dachte er. »Es wird keine andere mehr geben. Ich habe dich nie ermutigt, oder?«
    Julika sah wieder zu dem Kakadu hinüber. »Sie haben etwas Besseres verdient«, erklärte sie endlich trotzig. Nach ein paar Sekunden hörte sie auf, so zu tun, als gäbe es nichts Faszinierenderes auf der Welt als einen Kakadu, der aus dem Fenster spähte. »Ichsage nicht, dass ich das bin, aber ich will auch nicht, dass Sie so tun, als wäre ich nichts. Als wäre das, was ich sage oder kann, nichts. Ich will nicht, dass Sie mich behandeln wie ein Kind, nur weil ich vielleicht den falschen Zeitpunkt erwische. Ich will einfach den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen. Sie wissen, dass ich nicht so jung bin, wie ich aussehe.«
    »Aber ich bin so alt, wie ich aussehe«, sagte Van Leeuwen.
    »Sie sind nicht alt«, entgegnete Julika. »Außerdem stehe ich auf alte Männer.«
    »Es gibt noch viel ältere!«
    Der Kellner brachte seinen Espresso. Van Leeuwen trank, und als er die Tasse geleert hatte, dachte er, dass er jetzt einfach aufstehen und Julika und dieses Gespräch hinter sich lassen konnte. Da sagte sie: »Sie haben mich vielleicht nie ermutigt, aber das brauchen Sie auch nicht. Ich kann das ohne Ermutigung. Ich brauche bloß bei Ihnen zu sein.«
    »Hör auf, eine Figur in einem Kitschroman aus mir zu machen!«
    »Und was tun Sie mit Ihrer Frau?!«
    »Das ist etwas anderes.«
    »Vergessen Sie da nicht etwas?«
    »Und was?«
    »Die Briefe. Den Mann in Italien.«
    »Denk nicht an die Briefe!«, sagte Van Leeuwen. »Die Briefe sind nicht wichtig. Der Mann, der sie ihr geschrieben hat, ist nicht wichtig. Nichts davon ist mehr wichtig.«
    »Was ist dann wichtig?«
    Van Leeuwen antwortete nicht. Er dachte an das, was wichtig war. Er dachte daran, wie sie sich früher hier verabredet hatten, als es Simone noch gut gegangen war. In den ersten Monaten hatte sie jedes Mal überrascht gewirkt, wenn er sie vom Revier angerufen hatte, sogar wenn sie sich getroffen hatten und sie ihn erblickt hatte, so lange hatte sie gebraucht, um es wirklich zu glauben – dass sie verheiratet waren, dass jemand sie liebte, dass die Liebe anhielt. Sie war nicht schnell in diesen Dingen. Und wenn sie sich trennenmussten, weil er dienstlich verreisen musste, rief er sie an, bevor er heimkehrte – immer erst kurz, bevor er da war –, und dann erwartete sie ihn hier, und die ganze Zeit, während er zurückfuhr, wusste er schon, wie sie aussehen, wie sie dasitzen würde, hier an diesem Tisch. Er saß im Zug oder im Auto auf irgendeiner Landstraße und dachte, dass die Welt genau dafür gemacht war, für ihr Wiedersehen hier. Er dachte, dass sie auf dieser Welt wären, um glücklich zu sein; dass es kein Ich mehr gab, nur noch ein Wir , und für dieses Wir lebte er. Und jetzt, dachte er, jetzt ist das Glück nur noch einer von den ungehobenen Schätzen ganz tief unten, und an dem Tag, als es versank, wurde aus wir wieder ich .
    »Was ist dann wichtig?«, beharrte Julika und schaute ihn jetzt an, von der Seite und aus viel zu großer Nähe. Sie zwang ihn, sie wahrzunehmen, und einen Moment lang sah er ihr Gesicht, wie sie es vielleicht wollte: ein schönes Frauengesicht, schön nicht im landläufigen Sinn, gleichmäßig, doch ohne vordergründige Harmonie. Die kleine Nase – gerade und sommersprossig – schien jünger zu sein als die Augen und der Mund. Die Haut spannte sich im warmen Licht der Lampen blass und wie poliert über den ausgeprägten Wangenknochen und der hohen Stirn. Er konnte all das sehen, und dann trat er innerlich einen Schritt zurück. Er sagte: »Wenn ich versuchen wollte, dir das zu erklären, würden Wochen, wenn nicht Monate vergehen, ehe du auch nur ansatzweise begreifst, wovon ich spreche. Aber die Quintessenz wäre in etwa: Ich habe in meinem Leben genug Liebe gehabt, jedenfalls von der einzigen Art Liebe, die für mich zählt.«
    Julika sah ihn weiter an, unverwandt, bevor sie den Kopf senkte. Das Haar fiel ihr ins Gesicht, und sie strich es zurück. »Darf ich Ihnen etwas erzählen?«, fragte sie.
    Ich weiß genug, dachte er, aber natürlich konnte sie seine Gedanken nicht lesen, deswegen begann sie: »Es hat mit meinem Vater zu tun, doch es ist keine von den Geschichten, die ich Ihnen schon erzählt habe. Es ist mehr ein Bild, wissen Sie – eins von den Bildern, die man nie vergisst. Ich bin – früher bin ich andauernd von zu Hause weggerannt, schon

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