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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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als Kind, lange bevor er sich betrunkenins Auto gesetzt und den Unfall verursacht hat, bei dem sie umgekommen sind, meine Mutter, meine Schwester. Ich konnte seine Trinkerei nicht ertragen. Und sein Schweigen, das auch nicht. Ich konnte es nicht mehr ertragen, wie er im Schlafzimmer auf der Bettkante saß, ohne was zu sagen, oder wie er wortlos in der Küche vor dem offenen Kühlschrank stand und minutenlang nur hineinstarrte oder wie er im Waschsalon um die Ecke neben der großen Trommel hockte und den Frauen Blicke zuwarf, betrunken und schweigend. Ich konnte es auch nicht mehr ertragen, wie er uns den Rücken zuwandte, meiner Mutter und mir – kalt und steif und teilnahmslos –, aber vor allem konnte ich es nicht mehr aushalten, ihm dabei zuzusehen, wie während dieses Schweigens sein Leben verrann – unser Leben! Wie er vor all den Schlägen, die er schon eingesteckt hatte, tiefer und tiefer in die Ecke zurückwich und wie er da stand, in dieser Ecke, mit gesenktem Kopf, zermürbt, und auf den Moment wartete, in dem er zu Boden gehen musste und für immer liegen blieb.«
    Van Leeuwen griff nach dem Kuvert mit Ailing Wus Briefen auf seinem Trenchcoat und steckte sie zurück in die linke Innentasche seines Jacketts. »Ich muss gehen«, sagte er. »Ich habe das Gefühl, du redest zu oft über deinen Vater.«
    Julika blinzelte, als hätte sie etwas gesehen, das gar nicht da war. »Wünschen Sie sich denn nichts mehr vom Leben?«, fragte sie.
    »Doch. Dass es aufhört.«
    »So sollten Sie nicht reden«, erwiderte sie heftig, fast wütend. »Das passt nicht zu Ihnen. Es passte zu meinem Vater, aber zu Ihnen passt es nicht!«
    Der Kakadu am Fenster schlug mit den Flügeln und drehte sich um. Mit einem Fuß kratzte er sich den schräg gelegten Kopf, bevor er Van Leeuwen mit dem linken Auge anstarrte und dabei nicht weniger vorwurfsvoll aussah als Julika.
    »Ach was«, meinte Van Leeuwen zu beiden. Gerade, als er das Kuvert verstaut hatte, vibrierte sein Handy in der anderen Brusttasche. Er holte es heraus und meldete sich.
    Die Stimme in der Leitung gehörte Doktor Holthuysen. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie am Sonntagabend anrufe, Mijnheer«,sagte er, »aber ich hatte gerade eine interessante Unterhaltung mit einem Kollegen in Haarlem. Dort ist vor zwei Tagen eine junge Frau tot aufgefunden worden. Die Autopsie hat eindeutige Parallelen zum Tod unseres jungen Lehrers vor anderthalb Wochen ergeben.«
    Der Commissaris spürte, wie das Blut in seinen Adern kalt wurde. Er wusste, was das bedeutete.
    »Das heißt, dass Sie es vielleicht mit einem Serientäter zu tun haben«, sagte der Pathologe.

19
    Es war so still in Van Leeuwens Büro, dass die Stille selbst zum Lärm wurde. Sie war lauter als die Geräusche aus den anderen Räumen, das Telefonklingeln, das Rattern der Faxgeräte und die Gesprächsfetzen, die vom Korridor hereindrangen.
    »Zheng Wu ist ein Serientäter?«, fragte Inspecteur Vreeling endlich überrascht.
    »Nicht Mijnheer Wu, sondern der Mörder von Gerrit Zuiker«, erklärte der Commissaris. Er ließ seinen Blick über die Gesichter von Hoofdinspecteur Gallo, Brigadier Tambur und Inspecteur Vreeling wandern. Sie saßen oder standen vor seinem Schreibtisch, auf einem Stuhl, am Fensterbrett und wirkten wie in einem Film, der gerade angehalten worden war. In der Bewegung erstarrt, Julika mit dem obligaten Coffee to go in der Hand, Remco mit einem Muffin, von dem er eben zum zweiten Mal abgebissen hatte. Julika betrachtete Van Leeuwen aufmerksam, genau wie alle anderen, ohne den Hauch einer Vertraulichkeit; im Dienst verhielt sie sich absolut professionell, egal, was sonst in ihr vorging.
    Gallo verschränkte die Arme vor der Brust: Abwehr und Skepsis. »Zen oder das Geschenk nächtlicher Erleuchtung?«, fragte er. Jetzt bewegten sich auch die anderen wieder: Remco kaute weiter, das Muffin-Papier knisterte, Kaffee wurde durch den Strohhalm vom Becherboden geschlürft.
    »Zen oder die Kunst der Pathologie«, sagte der Commissaris. »Auf einer Tulpenfarm in der Nähe von Haarlem ist eine Frau ermordet worden, eine gewisse Heleen Soeteman, und zwar auf dieselbe Weise wie Gerrit Zuiker – Tod durch Ersticken mittels einer Plastiktüte oder etwas Ähnlichem. Doktor Holthuysen ist nach Haarlem gefahren und hat sich das Opfer angesehen, und danach hat er mich angerufen.«
    »Aber wie ist Holthuysen auf diesen Pfad der Weisheit gelangt?«, hakte Gallo nach, weiter skeptisch, die Arme noch immer fest

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