TotenEngel
verschränkt.
Zen oder der Weg des Doktor Holthuysen: »Sie kennen mich, Mijnheer Van Leeuwen«, hatte er am Telefon gesagt, »die Vorstellung, dass es nur Ihrer Sturheit zu verdanken war«, ein tiefer Seufzer, »oder nennen wir es Ihren Instinkt«, ein hörbares Schmunzeln, die höchste Anerkennung, zu der Holthuysen fähig war, »also, was ich sagen will – beinahe wäre Mijnheer Zuiker geöffnet oder ungeöffnet an seinen Absender zurückgegangen, mit dem Stempel Herzversagen oder ungeklärte Todesursache , und niemand hätte gemerkt, dass es sich in Wirklichkeit um Mord gehandelt hat. Das hat mir keine Ruhe gelassen, nicht eine Sekunde, vor allem, weil Polizisten wie Sie ja nicht gerade am Fließband hergestellt werden, Mijnheer van Leeuwen.«
»Was bedeutet das – Polizisten wie ich?«, hatte Van Leeuwen gefragt, neben seinem Tisch im Grand Café I er Klas stehend, Julikas Augen fragend auf sein Gesicht gerichtet.
»Das Salz von Amsterdam«, erklärte Holthuysen.
»Aber wenn das Salz seinen Geschmack verliert, wer wird es salzen?«, hatte Van Leeuwen gemurmelt, doch der Pathologe war ihm umgehend in die Parade gefahren:
»Sie haben nichts von Ihrer Würze verloren, bilden Sie sich nichts ein, nur weil Sonntag ist und Sie am Grab Ihrer Frau waren.« Ein tiefes, tadelndes Grummeln. »Ach, da fällt mir ein, man munkelt, der Hoofdcommissaris will, dass Sie sich auf die Couch von Doktor Menardi legen – waren Sie schon da?«
»Nein. Ich gehe auch nicht hin.«
»Schade. Würde mich interessieren, wie das so ist, wenn eine schöne Psychologin einem an der Seele herumfummelt.«
»Sie können sich ja selbst einen Termin geben lassen.«
»Nicht nötig, danke, mit meiner Würze ist auch alles in Ordnung.« Der Doktor schmunzelte offenbar wieder. »Obwohl es bestimmt Spaß machen würde herauszufinden, wer mit seinem Besteck tiefer in den anderen hineingucken kann, sie oder ich …!« Aus dem Schmunzeln wurde fast ein Kichern, bevor Holthuysen sich abrupt zur Ordnung rief. »Also, jedenfalls habe ich eine Mail an alle Kollegen in ganz Holland geschickt, ihnen den Fall Gerrit Zuiker geschildert und gebeten, sich doch bei Gelegenheit noch mal alle Todesfälle der letzten Jahre vorzunehmen, bei denen eine Autopsie durchgeführt und auf ungeklärte Todesursache, Herzversagen oder Tod durch Ersticken erkannt worden war – außerdem alle anderen, bei denen ihnen vielleicht irgendwas komisch vorgekommen ist. Ich wollte, dass sie überprüfen, ob es sich um künstlich herbeigeführten Atemstillstand gehandelt haben könnte – natürlich nur, soweit das noch möglich ist. Und siehe da, Doktor Adrian Book in Haarlem war der Erste, der sich daraufhin gemeldet hat. Aber ich bin fast sicher, dass es noch mehr Fälle gibt, die in der Vergangenheit nicht als Morde erkannt und daher auch nie aufgeklärt worden sind. Moment mal …«
Holthuysen zündete sich eine unsichtbare Zigarette an, dann fuhr er fort: »Falls es sich also tatsächlich um einen Serientäter handeln sollte, hat er ziemlich schnell wieder zugeschlagen, sehr schnell, was darauf schließen lässt, dass der Druck, den er verspürt, größer wird. Man müsste vielleicht herausfinden, wann er vor Gerrit Zuiker das letzte Mal getötet hat, in welchem zeitlichen Abstand. Und ob er sich bislang nur auf Amsterdam und Umgebung beschränkt oder in ganz Holland tätig geworden ist, vielleicht sogar in ganz Europa. Ich warte da noch auf weitere Nachrichten von den anderen Kollegen.«
Van Leeuwen hatte die Kälte seines Blutes bis ins Herz gespürt, es schien zu Eis geworden zu sein. »Sie glauben, da kommen noch mehr?«
»Bei einem derart kurzen Abstand fast zwangsläufig«, ein Rascheln am anderen Ende der Leitung, wahrscheinlich nickte der Pathologe, »weitere Opfer in der Vergangenheit und weitere in der Zukunft, bis Sie ihn stoppen. Ach, noch was: Diese junge Frau in der Nähe von Haarlem – Heleen Soeteman – hätte sowieso nicht mehr lange gelebt. Ihre inneren Organe waren fast völlig vom Krebs zerfressen, die Knochen genauso. Wenn ich witzig sein wollte, würde ich sagen, sogar der Krebs hatte schon Krebs.«
»Aber wann wollten Sie je witzig sein?«, hatte Van Leeuwen erwidert und geistesabwesend zugesehen, wie Julika aufstand und schon vorging zur Tür, beobachtet von den Kellnern, dem Kakadu und der Frau mit dem roten Brillengestell.
»Sie muss unter unerträglichen Schmerzen gelitten haben. Der Mörder hat ihr in gewisser Weise einen Gefallen getan«,
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