Totenfeuer
haben, da wollte dein feiner Großvater nichts davon hören. Und du, Ernst, du hättest einfach mal auf den Tisch hauen sollen, aber dazu warst du ja viel zu feige.« Ihr Blick wandert von Anna zu ihrem Mann, der den Kopf eingezogen hat unter ihren verbalen Nackenschlägen, und dann wieder zu Anna: »Denk nicht, dass ich nicht dran gedacht hätte, ihn zu vergiften. Oft sogar. Ich hab mir sogar die Tabletten aufgehoben, von Roswitha, eine ganze große Schachtel voller Schlaftabletten, Schmerzmittel, Psychopharmaka. Aber weißt du, wenn man jahrelang vergeblich um etwas kämpft, dann wird es einem plötzlich ganz egal. Ich dachte: Die paar Jährchen, bis der Alte stirbt, kannst du jetzt auch noch warten.«
Völxen überlegt gerade, ob sich Anna mit dieser Antwort zufriedengeben wird, als Martha Felk fortfährt: »Aber dann kam er mit dieser Frau hier an, der Tochter seiner jüdischen Jugendliebe. Er hat es nicht einmal für nötig gehalten, uns zu fragen, ob wir damit einverstanden sind. Musste er ja nicht, es war ja sein Eigentum.« Wieder lacht sie bitter auf und sieht dabei Völxen an. »Ernst und ich wurden zwei Tage vorher von ihm über den Besuch informiert. Nicht etwa gefragt, nein, informiert. Damit auch alles schön ordentlich aussieht. Als wären wir hier nur die Lakaien. Das waren wir ja auch. Wie ein Gockel ist er hier herumstolziert, sogar einen Reporter von der Zeitung hat er mitgebracht, damit der ganze alte Dreck wieder aufgerührt wird. Ich habe gleich geahnt, dass das noch ein Nachspiel haben wird, dass der Alte irgendwas plant, irgendeine späte Reue oder Wiedergutmachung – mit unserem Geld!«
Martha verstummt, als müsse sie Kraft schöpfen, Annas Augen sind nur noch wütende Schlitze, da sagt Ernst Felk plötzlich tonlos: »Du hast mir vor Ostern zwei Flaschen Holundersaft für ihn mitgegeben.«
Für einen Moment herrscht Stille im ehemaligen Sommerfeld’schen Salon, nur die Pendeluhr tickt. Völxen glaubt, den Plan des Pferdezüchters zu durchschauen. Wenn seine Frau zum Schein diesen Mord gesteht, wird Anna vielleicht endlich zufrieden sein und die Waffe weglegen. Oder sie erschießen. Völxen überlegt, ob er einen Überraschungsangriff versuchen soll. Aber er ist über fünfzig und leicht übergewichtig und kennt seine Grenzen.
»Ja, genau. Meinen Holundersaft mochte er immer gern. Wenigstens etwas, womit man es dem feinen Herrn mal recht machen …«
Im Augenwinkel nimmt Völxen eine Bewegung wahr, und schon scheppert es. Martha Felks Blumentöpfe gehen zu Bruch, als Fernando durch das offene Fenster flankt. Er schlägt auf dem Boden auf, zwischen Tonscherben, Erde und zerfledderten Begonien. Ehe jemand reagieren kann, ist er wieder aufgestanden, hechtet auf Anna zu und bekommt die Waffe zu fassen. Aber die junge Frau setzt sich energisch zur Wehr. Ein Schuss löst sich. Eine Schrotflinte, die in einem Zimmer losgeht, wirkt ohrenbetäubend, alle im Raum sind sekundenlang wie gelähmt. Putz rieselt von der Decke herab und in Völxens Kragen. Martha kreischt auf, Ernst starrt mit schreckweiten Augen ins Leere.
Fernando hat Anna nun die Waffe entrissen und reicht sie an Völxen weiter, der sie rasch entlädt. Anna zetert: »Ihr müsst sie verhaften! Sie hat ihn umgebracht!«
»Denk bloß nicht, dass du was erreicht hast, du Wahnsinnige! Im Gegenteil: Ich werde dich anzeigen, wegen Bedrohung und Nötigung. Und den Schaden, den ersetzt du uns!«, giftet Martha ihre Nichte an und wischt sich angewidert den Putz vom Ärmel.
»Ruhe!«, brüllt Völxen. Augenblicklich verstummen Anna und ihre Tante. Draußen kläfft Oscar. »Fernando, schön dich zu sehen«, bekennt Völxen.
»Ich hatte so ein Gefühl …«, grinst Fernando und sagt zu Anna: »Muss ich Ihnen Handschellen anlegen, oder kommen Sie freiwillig mit zur Dienststelle?«
»Ich komme mit«, sagt Anna, die sich erstaunlich schnell wieder gefasst hat und nun ganz unaufgeregt wirkt.
Fernando bringt sie hinaus. Völxen folgt ihm und beruhigt den aufgeregten Hund, der zwar aufhört zu bellen, dafür aber die Lefzen hochzieht und den Hausherrn anknurrt, der ihnen nach draußen gefolgt ist.
»Das ist ja der Köter von Roland«, bemerkt Ernst Felk und weicht erschrocken zurück. Offenbar ist er kein Hundefreund. »Was macht der denn hier?«
»Nichts«, sagt Völxen. »Der gehört zu mir.« Er geht zu seinem Fahrrad und telefoniert dabei: »Frau Wedekin, ich habe einen Auftrag für Sie …«
»Die Sachen von Herrn Felk?«, wiederholt
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