Totenfeuer
Streit bekommen, wegen Felks Affäre mit Matzes Mutter oder wegen was anderem. Matze ist ein Kerl wie ein Kleiderschrank, der kann Felk das Gewehr leicht abgenommen haben. Torsten Gutensohn hat das möglicherweise beobachtet oder ihm sogar geholfen, die Leiche zu beseitigen. Jedenfalls sollte Torsten erfahren, dass wir Matze am Wickel haben, dann redet er vielleicht endlich.«
»Das bedeutet wohl Überstunden!«, erkennt Oda glasklar.
»Sieht so aus. Du kannst dir ja schon mal Frau Kolbe vornehmen und rauskriegen, ob diese Deepblue -Mails wirklich von ihr stammen.«
»Wie sieht Frau Kolbe aus?«, will Oda wissen.
»Auf den ersten Blick so eine farblose Blonde, aber auf den zweiten recht hübsch. Nette Figur, ausdrucksvolle blaue Augen. Sind Jule und Fernando schon weg?«
»Jule ist noch da. Wo der schönste Mann der PD ist, weiß ich nicht«, antwortet Oda.
»Ich bringe jetzt den Hund zu den Felks und komm dann wieder in die PD «, seufzt Völxen. »Ich fürchte beinahe, wir haben unseren Täter.«
»Willst du den Hund nicht behalten? Der himmelt dich so an, das tut doch sonst keiner.«
»Werd nicht frech! Ich kann den nicht behalten, meine Frau reißt mir den Kopf ab.«
»Schon möglich«, räumt Oda ein. »Immerhin werden siebzig Prozent aller Tötungsdelikte vom Intimpartner der Opfer begangen.«
Bis die Verdächtigen zur Vernehmung eintreffen, telefoniert Oda mit Herrn Tang. »Sagt Ihnen der Name Josephine Kolbe etwas?«
Tian Tang lässt einen kurzen Augenblick verstreichen, dann sagt er: »Der Name ist mir in diesen Tagen in Rolands Patientendatei begegnet. Aber die Behandlung liegt schon eine Weile zurück, bestimmt drei Jahre.«
Oda wiederholt Völxens Beschreibung von Josephine Kolbe und fragt: »Könnte das die Frau sein, die ihm diese Szene in der Praxis gemacht hat?«
»Das wäre möglich, ja.«
»Vielen Dank. Ihre Auskunft hat mich meinem Feierabend ein gutes Stück näher gebracht. Diese Massage, oder was immer es war, hat meinem Rücken übrigens sehr gutgetan.«
»Das freut mich außerordentlich«, sagt die sanfte Stimme des Chinesen.
Irgendwas ist in dieser Stimme, das macht einen ganz schummrig im Kopf, findet Oda und fragt: »Könnten wir das wiederholen?«
»Jederzeit. Von mir aus noch heute. Ich bin in der Praxis, ich habe viel Papierkram zu erledigen. Sie wären mir eine willkommene Abwechslung.«
»Ich weiß noch nicht, wann ich hier rauskomme, aber ich melde mich.«
Fernando stellt sein Motorrad ab. Sein Blick tastet sich an der Fassade des Altbaus am Schneiderberg hinauf. Sein neues Zuhause? Ein seltsames Gefühl. Sein ganzes Leben hat er in der geräumigen Fünfzimmerwohnung verbracht, die über dem Laden liegt. Ist es nicht Hochverrat, wenn ein Lindener in die Nordstadt zieht? Sein Freund Antonio würde ihm das nie verzeihen. Ein Lindener verlässt normalerweise seinen Stadtteil nicht ohne wirklich triftigen Grund, von einem Umzug ganz zu schweigen. Wie wird das sein, wenn er seine Sachen packt und auszieht? Wird seine Mutter überhaupt ohne ihn zurechtkommen? Er wird ihr natürlich nach wie vor helfen, wenn es im Laden etwas zu tun gibt: schwere Weinkisten von hier nach dort zu tragen, ganze Schinken vom Großmarkt zu holen … aber dennoch. Es wird ein Einschnitt in ihrer beider Leben sein. Aber ein notwendiger! Und da ist auch noch Anna, dieses bezaubernde, zerbrechliche Wesen. In so einer WG kommt man sich ja automatisch näher, er kann es ganz ruhig angehen lassen. Fernando nimmt den Helm ab, beugt sich vor und betrachtet sich im Rückspiegel. Alles bestens. Er schüttelt sein Haar auf, das sich schwarz und glänzend wie das Gefieder eines Amselmännchens bis auf den Hemdkragen ringelt. In diesem Moment sieht er es. Es ist ein Anblick, der ihm das Blut in den Adern gefrieren lässt. Ein graues Haar! Dick, wellig und … ja, grau, fast weiß schon, ringelt es sich von der Stirn bis zum Hinterkopf. Bisher hat Fernando immer nur verächtlich geschmunzelt, wenn Kollegen über diverse Alterserscheinungen klagten. Nun hat ihn die Krise kalt erwischt und mit einem gekonnten, heimtückischen Hieb niedergeschmettert. Das ist der Anfang vom Ende! Ab jetzt wird es rasant bergab mit ihm gehen, an diesem Punkt im Leben erst einmal angekommen, ist es nicht mehr weit bis zum betreuten Wohnen.
Als er sich daran macht, das Unaussprechliche auszureißen, zittern seine Hände so sehr, dass ein ganzes Büschel schwarzer Haare mit dran glauben muss. Fieberhaft durchwühlt er seine
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