Totenfeuer
Bockdoppelflinte.
»Anna, was treiben Sie denn da? Legen Sie die Waffe weg«, sagt Völxen, der in der Tür stehen geblieben ist.
Anna fährt herum, die Waffe richtet sich nun auf den Kommissar. »Sie! Das trifft sich ja gut. Setzen Sie sich hin! Meine Tante hat Ihnen was zu sagen. Nämlich, wie sie meinen Großvater umgebracht hat.«
»Nun tun Sie doch schon was!«, fordert Martha Felk.
Leicht gesagt, nur was? Völxen hat seine Dienstwaffe in der PD gelassen. Er könnte versuchen, zu fliehen und Hilfe zu holen, das SEK , das volle Programm. Aber etwas sagt ihm, dass das Mädchen von selbst aufgeben wird, wenn sie erreicht hat, was sie erreichen wollte.
»Hinsetzen, los!« Völxen tut, was Anna sagt, und setzt sich auf den noch freien Stuhl zwischen Ernst Felk und dem Fenster.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, keift Martha Felk. »Was sind Sie denn für ein Polizist?«
»Lass ihn in Ruhe, Martha«, sagt nun Ernst Felk. »Anna, mach dich nicht unglücklich.«
»Ich möchte jetzt von Martha hören, was sie mit Opa gemacht hat!« Annas Stimme zittert, aber die Waffe hält sie ruhig. Sie wird ihr auf die Dauer zu schwer werden, spekuliert Völxen.
»Anna, warum warten Sie nicht erst mal das Ergebnis der Autopsie ab?«
»Es gibt Substanzen, die bauen sich nach wenigen Stunden im Körper ab«, gibt Anna zurück. »Insulin zum Beispiel. Sie war Krankenschwester, sie kennt die Tricks.«
»Anna, Sie wissen bestimmt, dass ein unter solchen Umständen erzwungenes Geständnis vor Gericht wertlos ist?«, versucht es Völxen erneut. »Sie machen es uns dadurch nur schwerer.«
»Vor meinem Gericht ist es nicht wertlos«, antwortet Anna kalt, und als Völxen nun den hasserfüllten Blick sieht, mit dem Anna ihre Tante über die Flintenläufe hinweg fixiert, ist er gar nicht mehr so sicher, ob sie ihr Urteil nicht auch gleich vollstrecken wird.
»Los jetzt, rede. Wie hast du es angestellt?«, herrscht Anna ihre Tante an.
»Ja, wie soll ich das denn angestellt haben? Ich war seit Neujahr nicht mehr in diesem Altenheim.«
»Das behauptest du! Aber das ist kein Knast, jeder kann da ungesehen rein, der es drauf anlegt.«
»Du warst doch die Letzte, die ihn besucht hat«, widerspricht Martha stur.
Anna fuchtelt mit dem Gewehrlauf unruhig vor ihren Gesichtern herum. An der Wand lehnt ihr Rucksack, vom Reißverschluss baumelt ein kleines Plüschschaf. Völxen spürt, wie das Hemd an seinem Rücken klebt, obwohl durch das geöffnete Fenster ein angenehmer Luftzug hereinweht. Er versucht, das Textil durch kreisende Bewegungen der Schulter von der Haut zu lösen, aber es gelingt ihm nicht. Also hält er die Hände auf dem Schoß gefaltet, um das Mädchen nicht durch unkontrollierte Bewegungen zu provozieren.
Martha Felk dagegen scheint die auf sie gerichtete Waffe völlig vergessen zu haben, sie ist richtig in Fahrt: »Ich werde dir mal was sagen über deinen ach so geliebten Großvater: Mein Leben lang hat der mich behandelt wie seine Dienstmagd, hat mich immer spüren lassen, dass ich nicht aus einem reichen Stall komme. Seine Frau, Ernsts Mutter, durfte ich jahrelang pflegen, sie füttern wie ein Kleinkind, ihr die Windeln wechseln und die Scheiße von den Wänden kratzen, wenn sie mal wieder völlig durchgedreht ist! Ja, dafür war ich gut genug, um diese verrückte Alte zu bändigen, damit man sich das Geld fürs Pflegeheim möglichst lange spart. Da war es wieder praktisch, dass ich nur Krankenschwester war, nicht wahr, Ernst?«
»Martha, lass meine Mutter aus dem Spiel. Sie war krank und ist schon lange tot!« Ernst Felk sieht nun ebenfalls wütend aus.
»Ach ja?«, höhnt Martha. »Ich sag dir, was Roswitha war: Ein böses Weib war sie, lange bevor sie krank wurde. Herumkommandiert hat sie mich, nichts konnte man ihr recht machen. Sie hat ja nicht einmal Du zu mir gesagt! Ich war einfach keine gute Partie für ihren Sohn und für das Gut. Das Gut!« Sie lacht freudlos auf. »Als Ernst und ich mit der Zucht angefangen haben, taugten die Gäule gerade mal als Kutschpferde!«
»Martha, halt den Mund!« Ernst Felks Gesicht ist jetzt rot vor Zorn, und Völxen hat das Gefühl, dass er seiner Frau am liebsten eine Ohrfeige verpassen würde, um sie zum Schweigen zu bringen.
Aber Martha denkt gar nicht daran. Die verbitterte Frau nutzt die Situation, um ihrem über lange Jahre angestauten Zorn endlich Luft zu machen. »Aber als es darum ging, uns endlich das Gut zu überschreiben, für das wir unser Leben lang geschuftet
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