Totenfeuer
die Pflegerin, deren Namensschild auf dem hellblauen Kittel sie als Inge Becker ausweist. »Die Möbel, das Geschirr und die Bücher wurden dem Sozialkaufhaus gespendet, die haben die Sachen schon abgeholt. Das Zimmer ist seit gestern wieder belegt. Wir haben eine lange Warteliste.« Das wundert Jule nicht, obwohl das Heim sicherlich nicht billig ist. Es ist klein und fein, liegt direkt an der Eilenriede und hat wenig mit den Altenheimen gemein, in die Jule sonst gerufen wird, wenn es einen ungeklärten Todesfall gibt. Nicht einmal den Geruch, der sonst diese Einrichtungen prägt, kann sie hier ausmachen. Frau Becker steht in der Teeküche und ist damit beschäftigt, Tassen auf einen Rollwagen zu stapeln. Sie macht den Eindruck einer resolut-herzlichen Frau, die ihren Beruf mag. Ihr etwas breites Gesicht ist ohne eine Spur Make-up, der Ehering an ihrer geröteten rechten Hand zeigt Spuren von Abnutzung.
»Und wo sind die anderen Dinge?«, fragt Jule, die versucht, zwischen Schrank und Wagen möglichst wenig im Weg herumzustehen. Vor der Tür schiebt eine sehr alte Frau im Schneckentempo einen Rollator den Gang entlang. Sie tut das, ohne ihre Fußsohlen auch nur einen Millimeter vom Boden zu heben.
»Joggen Sie nicht so weit weg, Frau Lohse, es gibt gleich Essen«, ruft ihr die Pflegerin hinterher. Die Gemeinte zeigt keinerlei Reaktion. Jule muss an das Foto von Heiner Felk denken, auf dem er so lebenslustig und fit wirkte. Ob er sich trotz des luxuriösen Ambientes hier wirklich wohlgefühlt hat?
»Ein paar persönliche Sachen – Papiere und so – hat der Sohn am Freitag gleich mitgenommen. Die Kleidung liegt noch im Keller, die soll an die Kleiderkammer vom Arbeiter-Samariter-Bund gehen«, erklärt Frau Becker.
»Was ist mit den Lebensmitteln?«
»Die werden alle weggeworfen. Viel ist das ja nicht, meistens nur ein bisschen Naschzeug oder ein Fläschchen Schnaps.«
»Wurde der Müll seit Ostern schon abgeholt?«
»Ja, gestern.«
»Was geschieht mit leeren oder angebrochenen Flaschen?«
»Wonach suchen Sie denn?«, erkundigt sich die Pflegerin, nun schon leicht ungeduldig.
»Nach zwei Flaschen selbstgemachtem Holundersaft.«
»Was ist denn damit?«
Jule erklärt es ihr.
Die Frau, die eben noch über eine gesunde Gesichtsfarbe verfügte, wird plötzlich bleich wie ein Chicorée und stammelt, sie müsse dringend telefonieren. Ehe Jule sie aufhalten kann, rennt sie mit wehendem Kittel den Flur hinunter.
»Bodo Völxen, was hat das zu bedeuten?« Sabine Völxen stemmt die Hände in die Hüften und mustert ihren Gatten und den Hund mit dem Blick eines Schweizer Zollbeamten.
»Das? Ach, das ist nur der Hund von Roland Felk. Ich wollte ihn bei den Felks auf dem Gut abgeben, aber bei diesen Leuten kann man das Tier unmöglich lassen. Morgen bringe ich ihn zurück ins Tierheim, aber jetzt habe ich dazu keine Zeit, ich muss leider noch mal zur Dienststelle. Wir haben zwei Festnahmen in Sachen Roland Felk.«
Vor zwei Minuten hat der Kommissar einen Anruf erhalten, dass sich Matthias Kolbe und seine Mutter auf dem Weg zur PD befinden. Ehe Sabine antworten kann, stolpert Wanda aus der Tür, stürzt sich auf Oscar und flötet: »Ach, ist der süüüüß!«
»Es kann spät werden, kann ich dein Auto haben?«, fragt Völxen seine Frau, aber er bekommt keine Antwort. Sabine und Wanda sind dabei, Oscar ins Haus zu bringen, wobei er Sabine sagen hört: »Klar ist der süß, aber er bleibt nicht hier. Auf gar keinen Fall!«
Als der Hauptkommissar wenig später in der PD eintrifft, findet er Oda und Fernando in Odas Büro bei einer Tasse Kaffee sitzend und plauschend vor. Fernando hat Oda gerade seine Heldentat auf dem Gut in den buntesten Farben geschildert.
»Wie, Käffchen? Habt ihr nichts zu tun?«
»Im Grunde nicht«, antwortet Oda. »Ich habe gerade Josephine Kolbe entlassen. Sie gibt zu, seinerzeit die bösen E -Mails verfasst zu haben, und eine kleine Szene in Felks Praxis geht ebenfalls auf ihr Konto. Danach habe sie keinen Kontakt mehr mit Felk gehabt. Ihre Familie hat angeblich von ihrem Verhältnis nichts mitbekommen, davon scheint sie überzeugt zu sein. Natürlich will sie nicht gehört haben, dass ihr Sohn am Sonntagmorgen um halb sechs weggefahren ist.«
»Das war ja klar.«
»Mütter!«, seufzt Fernando.
Woraufhin Oda und Völxen hinter seinem Rücken ein verschmitztes Grinsen tauschen, ehe Oda fortfährt: »Herr und Frau Kolbe möchten, dass ihr Sohn zuerst mit einem Anwalt redet, bevor er mit
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