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Totenfeuer

Totenfeuer

Titel: Totenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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Lockenmähne auf der Suche nach weiteren Zeichen des Verfalls.
    »Ey, Alter, haste Läuse?«, fragt ein älterer Punker, der kettenrasselnd vorbeischlurft.
    Fernando richtet sich erschrocken auf. Lieber Himmel, was, wenn Anna zufällig aus dem Fenster schaut? Er holt tief Luft, blinzelt in den makellos klaren Abendhimmel und zählt langsam bis zehn. Er wird das mit Fassung tragen, wie ein Mann. Als sich sein Puls wieder einigermaßen beruhigt hat, drückt er auf die Klingel. Niemand öffnet, die Sprechanlage schweigt. Er versucht es noch einmal und noch einmal. Dann ruft er Annas Festnetznummer an, aber es meldet sich nur der Anrufbeantworter. Eine Handynummer hat sie nicht hinterlassen. Seltsam. Eigentlich schien sie ihm eher der zuverlässige Typ zu sein. Sechs Uhr. Vielleicht hat sie ihn später erwartet, oder sie steht gerade unter der Dusche. Ein durchaus angenehmer Gedanke. Fernando beschließt, es in zehn Minuten noch mal zu versuchen und inzwischen ein bisschen die Gegend zu erkunden. Mal sehen, ob es neue Kneipen gibt und wo er in Zukunft seine Brötchen holen wird und seine Morgenzeitung.
    Schweren Herzens lässt Hauptkommissar Völxen den mächtigen Türklopfer in Form eines Pferdekopfes gegen das Holz donnern. Oscar erschrickt und bellt kurz auf. »Ruhig! Du willst doch keinen schlechten Eindruck machen, oder?« Es vergehen zehn, zwanzig, dreißig Sekunden, aber niemand öffnet. Vergeblich wiederholt der Kommissar die Prozedur. Keiner da. Vielleicht ist der Bauer auf dem Feld und die Bäuerin im Garten?
    Den Hund an der Leine, schaut Völxen um die Ecke. Der Gemüsegarten mit den akkuraten Furchen ist menschenleer. Weit können die Felks allerdings nicht sein, ein Opel Omega steht auf dem Hof und dahinter ein älterer Ford Fiesta. Martha Felks Wagen? Das Tor zur Scheune steht offen, der Trecker steht darin. In der Koppel hinter dem Stall drängeln sich drei Stuten und ein Fohlen vor der verschlossenen Stalltür. Offenbar naht ihre Futterzeit. Der Pferdeduft weckt bei Völxen ein paar wehmütige Kindheitserinnerungen. Er wirft einen Blick in die Scheune und ruft »Hallo, ist wer da?« in das Dunkel. Niemand antwortet. Würden die Felks die Scheune, in der außer dem Trecker jede Menge landwirtschaftlicher Geräte und teures Handwerkszeug lagern, einfach so offen stehen lassen, wenn sie aus dem Haus gehen? Und wo könnten sie sein, ohne ihr Auto, ohne den Trecker? Ohne die Leute persönlich zu kennen, glaubt Völxen nicht, dass sie zu der Sorte gehören, die am Abend eine Runde joggen oder Rad fahren. Von den Ferienaufenthalten bei seinem Großvater hat er noch in Erinnerung, dass die frühen Abendstunden eine Zeit reger Betriebsamkeit auf einem Gut sind. Die Tiere, sofern sie nicht über Nacht auf der Weide bleiben, wollen gefüttert werden, und oft ist sein Großvater um diese Zeit die Koppeln abgegangen, hat die Zäune kontrolliert oder Elektrozäune umgesteckt, um Grasflächen zu schonen. Seine Großmutter befand sich um diese Zeit in der Küche und bereitete das Abendbrot zu. Es gab immer Brot, Wurst und Käse, manchmal eingelegten Hering, nur mittags wurde warm gegessen. Völxen geht zum Küchenfenster, das neben der Haustür liegt, und späht durch die Scheibe. Niemand ist zu sehen.
    Zu den Gewohnheiten auf dem Hof seines Großvaters gehörte auch, dass die Haustür den ganzen Tag unverschlossen blieb, erst bei Einbruch der Dunkelheit wurde sie verriegelt. Auf den meisten Höfen in seiner Nachbarschaft wird dies auch heute noch so gehandhabt, und als Völxen nun die Klinke der Haustür herunterdrückt, ist er nicht überrascht, als sie sich öffnet.
    Um sein Anliegen erst einmal schonend vorzubereiten, bindet er Oscar an einem der Balken an, die das kleine Vordach tragen. »Platz!« Oscar gehorcht, wenn auch sichtlich widerstrebend. Völxen durchquert die dämmrige Diele, wobei er ruft: »Hallo? Ist jemand da?«
    Statt der erwarteten Antwort hört er einen schrillen Schrei aus einer Frauenkehle, der sich wie »Hilfe!« anhört. Der Laut kam aus dem hinteren Gebäudeteil. Völxen tastet sich vorsichtig voran. »Hallo?«, ruft er, aber statt einer Antwort hört er nur ersticktes Stimmengemurmel. Es dringt aus einem Zimmer am Ende des Flurs. Die Tür ist offen.
    »Bleiben Sie stehen!«
    Anna Felk steht mit dem Rücken zur Wand, an der zahlreiche Urkunden hängen. Vor ihr sitzen eine dünne Frau und ein untersetzter älterer Mann stocksteif auf ihren Stühlen und starren verängstigt in die Läufe einer

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