Totenfeuer
Robert läuft sowieso nur unter Notbeleuchtung.«
»Wer dir’s heut noch will besorgen, den verschiebe nicht auf morgen«, ruft ein Pickelgesicht, und ein Dritter fordert: »Bück dich, heut gibt’s Aal!«
»Bohr dir doch ein Loch ins Knie, Basti!«, antwortet Wanda und lächelt nachsichtig, während sich Fernando entsetzt fragt, wie Völxen wohl reagieren würde, wenn er hören könnte, wie man hier mit seiner Tochter spricht. Überhaupt – wie hält sein Chef es seit Jahren hier aus? Zugegeben, die Landschaft ist schön, und in der Stadt wüsste er nicht, wohin mit seinen Schafen, aber dass Wanda noch zu Hause wohnt … Er unterbricht seine Grübeleien und lauscht wieder der Unterhaltung am Tisch.
»… und wenn wir am Ende des Jahres 365 Gummis verbraucht haben, schmelzen wir sie ein, machen einen Autoreifen draus und schreiben Good Year drauf!«, kräht gerade der Rothaarige, und der Rest grölt dazu.
Wanda schleppt einen Plastikklappstuhl heran, und ehe sich Fernando erneut an die Runde wendet, erläutert sie ihm leise, mit wem er es zu tun hat: »Der große Blonde ist Matthias Kolbe, Sohn vom Schreiner, der hält sich für den Platzhirsch, der mit den roten Sauborsten ist Robert Klinger, geistiger Tiefflieger, Vater macht in Gas-Wasser-Scheiße, die Schweinefresse da hinten ist Jan Schwarze, auch Asbach-Trog genannt, das Bleichgesicht mit den Locken ist Ole Lammers aus Lüdersen, Gymnasiast und halbwegs zurechnungsfähig, der Typ gegenüber ist sein Klassenkamerad Torsten Gutensohn – Figur wie ein Panzerschrank, aber harmlos, bis auf die Tatsache, dass er Tiere totschießt, die kleine versoffene Ratte mit der Narbe in der Hackfresse ist Sebastian Koch, Bauernsohn, kifft sich mit Jan regelmäßig das Hirn weg, die kleine Blonde mit dem Mopsgesicht heißt Maren und wohnt in Linderte, die Eltern der Ärmsten sind Lehrer, und die feiste Dunkle heißt Isabella oder auch Dorfmatratze.«
Fernando lauscht halb amüsiert, halb entsetzt Wandas Schilderung und notiert die Namen in sein Moleskine-Notizbuch. »Ruhe bitte!«, fordert er dann erneut mit energischer Stimme, und als es tatsächlich still wird in der Runde, sagt er: »Wie ihr wisst, wurde aus den Flammen des Osterfeuers eine Leiche geborgen. Dazu erst mal die wichtigste Frage: Seid ihr vollzählig?«
»Voll, jawoll!«, grölt es Fernando von rechts ins Ohr.
»Ich kann auch trinken, ohne lustig zu sein!«, schallt es von links.
»Verdammt, jetzt reißt euch doch mal zusammen«, mahnt Wanda, und Fernando wiederholt: »Ich meine damit: Fehlt einer von euch?«
»Julia und Ann-Kathrin. Die sind am Bierausschank«, sagt Maren, ehe sie und ihre Freundin ein Fläschchen Kleiner Feigling auf ex hinunterkippen.
»Wenn Weiber schon Bier zapfen …«, murmelt das Narbengesicht und winkt verächtlich ab.
»Was ist mit Carsten Meier?«, fragt Wanda.
»Der ist heute noch nicht aufgetaucht«, antwortet Ole, ein blasser Junge mit dunklen Locken und noch dunkleren Augenringen.
»Wir ha’m das Feuer bewacht«, erklärt der rothaarige Robert ungefragt.
»Carsten is’n Weichei!«, murmelt Isabella, zwirbelt neckisch eine Haarsträhne zwischen ihren French-Nails und wirft Fernando dabei einen schmachtenden Blick zu, dem dieser rasch ausweicht.
»Hatte heute jemand von euch Kontakt zu diesem Carsten?«
Ein paar schütteln langsam die Köpfe, dann nuckeln sie wie auf ein stummes Kommando an ihren Bierflaschen.
»Du da«, Fernando schaut den Jungen namens Ole an, der ihm noch halbwegs zurechnungsfähig vorkommt. »Du rufst diesen Carsten jetzt mal an. Oder seine Eltern. Ich muss wissen, ob er in Ordnung ist.«
»Wer is in Ordnung?« Jan Schwarze, ein dicklicher Junge mit rosigem Gesicht, glotzt Fernando aus wässrig-trüben Augen an. »Was is mit Carsten?«, hakt der Betrunkene nach.
»Der Bulle glaubt, Carsten ist die Leiche, du Funz«, erklärt Matze seinem Kameraden.
»Carsten? Nee, niemals. Der sieht anners aus. Außer … außer er war zu lang unterm Solarium.«
Jan Schweinegesicht lacht über seinen eigenen Witz, ein paar kichern mit, aber Ole fährt dazwischen: »Das ist nicht lustig, verdammt!«
»Mach hier nicht den Dicken, Ole«, erwidert Jan, dessen Stimmung urplötzlich von bierselig zu angriffslustig umschwingt.
»Leck mich doch, du Pfosten.« Ole steht auf und fummelt sein Handy aus der Hosentasche.
Auch Jan macht Anstalten aufzustehen, wird aber von seinem Nachbarn Matze am Kragen gepackt und zurück auf die Bank gedrückt: »Hinsetzen,
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