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Totenfeuer

Totenfeuer

Titel: Totenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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Gutensohn. »Ich sitze oft mit meinem Vater nachts auf Sauen an und schlaf dabei auch nicht ein.«
    »Und du?«, sagt er zu Ole Lammers. »Jagst du auch?«
    »Nein«, kommt es mit Überzeugung. »Ich schieße nicht auf Tiere.«
    »Also war das Brandgut ungefähr ab sieben Uhr früh unbewacht. Für wie lange?«
    »Nicht lange«, brummt Matze. »Um neun Uhr haben die Rentner vom Gesangverein schon ihren Klowagen aufgestellt, damit sie danach in die Kirche gehen können.«
    »Ja, und ab elf haben wir angefangen, die Zelte und die Tische aufzubauen und den Grill. Hier war dann eigentlich den ganzen Tag was los«, erklärt Torsten.
    In Marens Jackentasche piept es. Sie zieht ihr Mobiltelefon aus der Tasche, kichert und verdreht die Augen. »Das ist Carsten. Er hat bis jetzt gepennt und will wissen, wie die Stimmung ist und ob es sich noch lohnt, vorbeizukommen.«
    Es ist kurz nach elf, als Fernando nach Hause kommt. Er hat noch mit dem Treckerfahrer Kalle Koch – was für ein Name! – gesprochen, der zwar nüchtern, aber zu schockiert war, um klare Angaben machen zu können. Brandmeister Wilhelm Lenthe hat ihm versichert, dass ihm an dem Haufen nichts Ungewöhnliches aufgefallen sei, als er ihn am Sonntagabend zum Anzünden freigegeben hat.
    Jule ist mit Fernando zurück in die Stadt gefahren. Er hat sie eingeladen zu der Lammkeule, die er heute Morgen im Kühlschrank entdeckt hat, eingelegt in Olivenöl und frische Kräuter, aber Jule hat abgelehnt und behauptet, sie wäre müde, und der Appetit wäre ihr vergangen. Dabei hat Fernando sie schon in Situationen essen sehen, in denen er noch nicht mal daran denken konnte, sich irgendwas in den Mund zu stecken. Sie ist in dieser Richtung recht hartgesotten, das muss wohl in der Familie liegen. Jules Appetitlosigkeit hat einen anderen Grund. Bestimmt sitzt sie in ihrer Wohnung, betrinkt sich und wartet, bis dieses Arschloch Uhde anruft, vermutet Fernando. Frauen, auch intelligente, können ja so dämlich sein!
    Er selbst ist ebenfalls erschöpft, aber auch hungrig. Auf die Lammkeule freut er sich schon. Manchmal hat es doch auch Vorteile, wenn man bei seiner Mutter wohnt, denkt Fernando, da können Jule und Oda lästern, wie sie wollen. Er schließt die Tür auf.
    Schon im Flur bemerkt er einen fremdartigen Geruch. Es riecht nicht nach gebratenem Lamm, sondern irgendwie abgestanden, verrottet, muffig, als würde man die Nase in eine alte Vase stecken. Oder in eine Gruft. Irgendwoher kennt er diesen Geruch, es ist ein Geruch aus seiner Kindheit, und das Gefühl, das er hervorruft, ist nicht angenehm. Ehe er sich den Kopf darüber zerbrechen kann, klärt sich die Sache auf: »Nando! Da bist du ja endlich!«, ruft Pedra Rodriguez vorwurfsvoll. »Sag deiner Großtante Esmeralda guten Tag.«
    Himmel, das hat er ja völlig vergessen: Esmeralda hat ihren Besuch angekündigt. Schwarz, dürr und aufrecht sitzt sie auf dem Sofa, unter ihrem Spitzenkopftuch sticht die Nase hervor wie die Klinge einer Sense. Wann hat er sie zum letzten Mal gesehen? Es muss bei der Beerdigung seines Vaters gewesen sein, vor über zwanzig Jahren. Diese krä­henartige Frau ist ihm schon damals, mit dreizehn, nicht geheuer gewesen. Bei jeder Begegnung pflegte sie Fernando mit ihren klauenartigen Fingern in die Wange zu zwicken und sich über sein Wachstum zu äußern. Man kann nur hoffen, dass sie diese Angewohnheit inzwischen abgelegt hat. Wie alt mag sie sein? Achtzig? Hundert? Jedenfalls sieht sie aus, als wäre sie soeben einem Sarg entstiegen.
    »¡Bienvenido, tia Esmeralda!« Seiner Mutter zuliebe überwindet er sich und haucht einen Kuss auf ihre Pergamentwangen. Sie riecht tatsächlich wie eine alte Blumenvase, schon als Kind mochte er diesen Geruch nicht. Jetzt erinnert er Fernando an den Tod. Wenn der Tod weiblich wäre, würde er aussehen und riechen wie Tante Esmeralda.
    Ihre kleinen Äuglein, dunkel wie Schattenmorellen, mustern ihn kritisch, als sie auf Spanisch sagt: »Fernando. Du bist ja nicht viel größer als damals mit dreizehn.«
    Eine Stimme wie ein Kolkrabe.
    »Wir haben mit dem Essen auf dich gewartet, Nando, eine Ewigkeit, aber dann haben wir doch angefangen. Wir sind alt, wir können nicht erst um Mitternacht essen, das vertragen unsere Mägen nicht«, lamentiert seine Mutter, die neben ihrer Tante aussieht wie das blühende Leben. Leise und auf Deutsch fügt sie hinzu: »Drüben ist noch was von der Lammkeule, bedien dich selbst. Und sei nett zu deiner Großtante, sonst erben

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