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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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sagte ich, »ja. Aber sie machen das wesentlich gründlicher. Dann hätten wir es mit einem Gewaltrausch zu tun: jede Menge Stiche, das Gesicht entstellt, totale Vernichtung. Stattdessen haben wir einen einzigen Stich, kaum tief genug, um sie zu töten. Das passt einfach nicht.«
    »Vielleicht ist er nicht mehr dazu gekommen«, sagte Sam. »Er sticht einmal zu, sie läuft weg, und als er sie einholt, ist sie bereits tot.«
    »Trotzdem«, sagte ich. »Es müsste jemand sein, der so besessen ist, dass er Jahre gewartet hat und sie Gott weiß wie weit verfolgt hat. Wenn derart angestaute Emotionen schließlich ein Ventil finden, verpuffen sie nicht einfach, weil das Ziel tot ist. Im Gegenteil, es hätte ihn wahrscheinlich noch wütender gemacht, dass sie ihm wieder entwischt ist. Es hätte mindestens ein paar Messerstiche mehr geben müssen, obendrein ein paar Tritte ins Gesicht, so was in der Art.«
    Es war ein gutes Gefühl, so in den Fall hineingezogen zu werden, als wäre ich wieder im Morddezernat und die Tote ein Opfer wie jedes andere. Es durchströmte mich stark und süß und wohltuend wie heißer Whiskey nach einem langen Tag in Wind und Wetter. Frank lümmelte sich lässig auf seinem Stuhl, aber ich konnte spüren, dass er mich beobachtete, und ich wusste, dass ich mich langsam zu interessiert anhörte. Ich zuckte die Achseln, lehnte den Kopf nach hinten gegen die Wand und blickte an die Decke.
    »Der springende Punkt ist folgender«, sagte Frank prompt, »wenn sie Ausländerin ist und er ihr bis hierher gefolgt ist, aus welchem Grund auch immer, dann verschwindet er in Windeseile wieder außer Landes, sobald er erfährt, dass er die Sache erledigt hat. Wir können ihn nur schnappen, wenn er hierbleibt, und dazu muss er glauben, dass sie noch lebt.«
    Ein kurzes lastendes Schweigen.
    »Wir können überprüfen lassen, wer alles das Land verlässt«, sagte Sam.
    »Nach welchen Kriterien?«, frage Frank. »Wir haben keinen Schimmer, nach wem wir suchen, wo er oder sie hinwill, nichts. Das bringt nichts, solange wir die Tote nicht identifiziert haben.«
    »Daran arbeiten wir. Wie schon gesagt. Wenn die Frau sich als Irin ausgeben konnte, dann war Englisch sehr wahrscheinlich ihre Muttersprache. Wir fangen mit England an, dann die USA, Kanada –«
    Frank schüttelte den Kopf. »Das kostet Zeit. Wir müssen unseren Täter – oder unsere Täterin – im Land halten, bis wir wissen, wen wir überhaupt suchen. Und dazu fällt mir nur eine einzige Möglichkeit ein.«
    »Viertens«, sagte Sam mit Nachdruck. Er hielt vier Finger hoch, und für einen Sekundenbruchteil huschten seine Augen zu mir, glitten dann wieder weg. »Eine Verwechslung.«
    Wieder trat kurzes Schweigen ein. Cooper erwachte aus seiner Trance und blickte plötzlich ausgesprochen interessiert. Mein Gesicht fühlte sich auf einmal an, als wäre es peinlich auffällig, wie zu dick aufgetragener Lidschatten oder ein zu tief ausgeschnittenes Top, irgendwas, was ich besser nicht getragen hätte.
    »Irgendwen in letzter Zeit sauer gemacht?«, fragte O'Kelly mich. »Mehr als sonst?«
    »Etwa einhundert prügelnde Männer und zwei Dutzend prügelnde Frauen«, sagte ich. »Davon hebt sich niemand besonders ab, aber ich werde die Fallakten rüberschicken, die von der übelsten Sorte markieren.«
    »Was ist mit deiner Undercoverzeit?«, fragte Sam. »Könnte irgendwer sich an Lexie Madison rächen wollen?«
    »Abgesehen von dem Idioten, der mich niedergestochen hat?«, sagte ich. »Nicht dass ich wüsste.«
    »Der sitzt seit einem Jahr im Knast«, sagte Frank. »Drogenbesitz und Drogenhandel. Wollte ich dir schon die ganze Zeit gesagt haben. Jedenfalls, sein Verstand ist so benebelt, der würde dich nicht mal bei einer Gegenüberstellung erkennen. Und ich bin alle unsere Informationen aus dem Zeitraum durchgegangen: nirgendwo auch nur ein einziger Warnhinweis. Detective Maddox ist niemandem auf den Schlips getreten, nichts lässt vermuten, dass irgendwer je den Verdacht hatte, sie wäre ein Cop, und als sie verletzt wurde, haben wir sie rausgeholt und jemand Neues reingeschickt, um von vorn anzufangen. Niemand wurde als direkte Folge ihrer Arbeit verhaftet, und sie musste nie als Zeugin aussagen. An und für sich hätte niemand einen Grund, ihren Tod zu wollen.«
    »Hat der Idiot keine Freunde?«, wollte Sam wissen.
    Frank zuckte die Achseln. »Vermutlich, aber noch mal, ich wüsste nicht, warum er sie auf Detective Maddox hetzen sollte. Er wurde ja nicht mal

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