Totengleich
er offenbar, wollte er möglichst weit aus der Schusslinie sein.
Alle drei gingen mir allmählich gehörig auf den Wecker. »Ich bin auch noch da«, warf ich ein. »Du solltest versuchen, mich zu überzeugen, Frank, ich finde nämlich, ich hab da auch noch ein Wörtchen mitzureden.«
»Sie gehen dahin, wohin man Sie schickt«, sagte O'Kelly.
»Natürlich hast du das«, sagte Frank vorwurfsvoll zu mir. »Moment noch. Ich dachte, es wäre höflich, die Sache erst mit Detective O'Neill zu besprechen, schließlich ist das hier ja eine gemeinsame Ermittlung. Oder seh ich das falsch?«
Genau deshalb sind gemeinsame Ermittlungen so furchtbar: Keiner weiß genau, wer eigentlich das Sagen hat, und keiner will es herausfinden. Offiziell sollten Sam und Frank alle wichtigen Entscheidungen einvernehmlich treffen, aber wenn es hart auf hart ging, lag die Entscheidung in Sachen Undercover bei Frank. Sam hätte sich wahrscheinlich durchsetzen können, weil es ja zunächst sein Fall gewesen war, aber nicht ohne einen verdammt guten Grund und ohne Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen. Frank sorgte dafür – ich dachte, es wäre höflich –, dass Sam das nicht vergaß. »Völlig richtig«, sagte ich. »Aber denk dran, du musst die Sache auch mit mir besprechen. Bislang habe ich noch nichts gehört, was mich wirklich überzeugt hätte.«
»Für wie lange wäre es?«, fragte Sam. Er fragte Frank, doch seine Augen waren auf mich gerichtet, und der Ausdruck darin erschreckte mich: eindringlich und sehr ernst, fast traurig. In dieser Sekunde wurde mir klar, dass Sam ja sagen würde.
Auch Frank sah es. Seine Stimme veränderte sich nicht, aber sein Rücken war jetzt ganz gerade, und in seinem Gesicht lag ein neues Leuchten, etwas Waches und Raubtierhaftes. »Nicht lange. Ein Monat, höchstens. Schließlich ist es keine Ermittlung im Umfeld des organisierten Verbrechens, wo wir jemanden brauchen, der uns über Jahre hinweg mit Infos versorgt. Wenn der Einsatz in den ersten paar Wochen nichts bringt, dann bringt er auch später nichts mehr.«
»Sie wäre abgesichert.«
»Rund um die Uhr.«
»Wenn es irgendein Anzeichen für Gefahr gibt –«
»Ziehen wir sie auf der Stelle ab oder gehen rein und holen sie raus, falls nötig. Ebenso, wenn Sie an Informationen gelangen, die ihren Einsatz nicht länger erforderlich machen: Dann holen wir sie noch am selben Tag raus.«
»Dann sollte ich mich beeilen«, sagte Sam leise mit einem tiefen Ausatmen. »Okay: Wenn Detective Maddox es machen will, dann machen wir’s. Unter der Bedingung, dass ich über alle Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten werde. Ausnahmslos.«
»Wunderbar«, sagte Frank und rutschte rasch von seinem Stuhl, ehe Sam es sich anders überlegen konnte. »Sie werden es nicht bereuen. Moment noch, Cassie – bevor du irgendwas sagst, will ich dir was zeigen. Ich hab dir Videos versprochen, und ich bin ein Ehrenmann, der sein Wort hält.«
O'Kelly stieß ein Schnauben aus und ließ natürlich irgendeine Bemerkung über Amateurpornos vom Stapel, doch ich hörte kaum hin. Frank kramte in seinem großen schwarzen Rucksack herum, schwenkte eine beschriftete DVD in meine Richtung und schob sie in den Billig-DVD-Player des Morddezernats.
»Laut Datumsanzeige ist es der zwölfte September letzten Jahres«, sagte er und schaltete den Monitor ein. »Daniel hat die Schlüssel zum Haus am zehnten bekommen. Er und Justin sind am Nachmittag hingefahren, um sich zu vergewissern, dass das Dach nicht eingestürzt war oder so, am elften haben alle fünf ihre Sachen gepackt, und am zwölften haben sie alle ihre Wohnungsschlüssel abgegeben und sind mit Sack und Pack in Whitethorn House eingezogen. Die fünf machen Nägel mit Köpfen.« Er hievte sich auf Costellos Schreibtisch, neben mir, und drückte die Play-Taste der Fernbedienung.
Dunkelheit. Ein Klicken und Klirren, wie ein alter Schlüssel, der sich dreht. Polternde Füße auf Holz. »Ach du Schande«, sagte jemand. Eine fein modulierte Stimme mit Belfaster Färbung: Justin. »Der Geruch .«
»Weshalb bist du so schockiert?«, fragte eine tiefere Stimme, kühl und fast ohne dialektalen Einschlag. (»Das ist Daniel«, sagte Frank neben mir.) »Du hast doch gewusst, was dich erwartet.«
»Ich hatte es verdrängt.«
»Läuft das Ding?«, fragte eine Frau. »Rafe, kannst du das sehen?«
»Das ist unser Mädel«, sagte Frank leise, aber ich wusste es schon. Sie klang heller als ich, eine sehr klare Altstimme, und die erste Silbe
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