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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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entgegengeschleudert wurde: eine einmalige Chance, schnapp sie dir, wenn du kannst.
    O'Kelly streckte die Beine aus und seufzte demonstrativ. Cooper begutachtete die Risse in der Decke. Die Reglosigkeit von Sams Schultern verriet mir, dass er nicht atmete. Nur Frank sah mich an, seine Augen unverwandt und starr. Die Luft im Raum brannte überall, wo sie mich berührte. Lexie in mattgoldenem Licht auf dem Bildschirm war ein dunkler See, in den ich mich kopfüber hineinstürzen konnte, sie war ein Fluss mit dünnem Eis, auf dem ich mit Schlittschuhen davongleiten konnte, sie war ein Langstreckenflugzeug, das jetzt startete.
    »Sagt mir, dass die Frau geraucht hat«, sagte ich. Meine Rippen öffneten sich wie Fenster, ich hatte vergessen, dass es möglich war, so tief einzuatmen.
    »Meine Fresse, haben Sie sich Zeit gelassen«, sagte O'Kelly, wuchtete sich aus dem Stuhl und zog sich die Hose höher über den Bauch. »Ich denke, Sie sind echt unzurechnungsfähig, aber das ist ja nichts Neues. Wenn Sie umgebracht werden, kommen Sie bloß nicht heulend zu mir gerannt.«
    »Faszinierend«, sagte Cooper, der mich forschend beäugte. Offenbar kalkulierte er bereits die Chancen durch, dass ich irgendwann auf seinem Tisch landen würde. »Halten Sie mich unbedingt auf dem Laufenden.«
    Sam strich fest mit einer Hand über den Mund, und ich sah, wie sein Hals sich neigte.
    »Marlboro Lights«, sagte Frank, drückte die Auswurftaste, und ein breites Grinsen malte sich langsam auf seinem Gesicht ab. »So kenn ich dich.«

    Früher dachte ich mal, naiv und gutgläubig, wie ich war, dass ich den beraubten Toten etwas zu bieten hatte. Nicht Rache – keine Rache der Welt könnte ihnen auch nur einen winzigen Bruchteil dessen zurückgeben, was sie verloren haben – und auch nicht Gerechtigkeit, was immer das heißt, sondern das Einzige, was ihnen noch gegeben werden kann: die Wahrheit. Darin war ich gut. Ich hatte zumindest eine der Eigenschaften, die einen richtig guten Detective ausmachen: den Instinkt für Wahrheit, den inneren Magneten, der dir zweifelsfrei verrät, was Schlacke, was Legierung und was das reine, ungeschliffene Metall ist. Ich grub die Goldklumpen aus, auch wenn sie mir die Finger aufschnitten, und trug sie in hohlen Händen, um sie auf Gräber zu legen, bis ich merkte – schon wieder der Knocknaree-Fall –, wie glitschig sie waren, wie leicht sie zerbröselten, wie tief sie einschnitten, und schließlich, wie wenig sie wert waren.
    Wenn du im Dezernat für häusliche Gewalt nur eine einzige grün und blau geprügelte Frau dazu bringen kannst, Anzeige zu erstatten oder ins Frauenhaus zu gehen, dann wird ihr Freund sie wenigstens einen Abend nicht schlagen. Sicherheit ist eine kleine, minderwertige Währung, Kupfermünzen im Vergleich zu dem Gold, hinter dem ich im Morddezernat her war, aber sie behält den Wert, den sie hat. Und mittlerweile hatte ich gelernt, das nicht leichtfertig abzutun. Ein paar sichere Stunden und ein Blatt mit Telefonnummern, die man anrufen kann: So viel hatte ich niemals auch nur einem einzigen Mordopfer bieten können.
    Ich hatte keine Ahnung, was für eine Währung ich Lexie Madison zu bieten hatte – Sicherheit natürlich nicht, und Wahrheit hatte für sie anscheinend auch keine so große Rolle gespielt –, aber sie hatte nach mir gesucht, als Lebende und als Tote war sie auf leisen Füßen näher getappt, bis sie mit einem spektakulären Knall vor meiner Tür stand: Sie wollte irgendetwas. Was ich im Gegenzug von ihr wollte – und zu der Zeit glaubte ich das wirklich – war einfach: Ich wollte sie verdammt nochmal aus meinem Leben raushaben. Ich wusste, sie würde hart verhandeln, aber damit kam ich gut klar; ich hatte Erfahrung damit.
    Ich erzähle das niemandem, weil es keinen was angeht, aber der Job ist für mich fast so etwas wie Religion. Der Gott eines Detectives ist die Wahrheit, etwas Höheres und Skrupelloseres gibt es kaum. Du opferst, zumindest im Morddezernat und bei der Undercoverarbeit – und woanders wollte ich nie sein, wieso auf verdünnte Versionen aus sein, wenn du das atemberaubende Ganze haben kannst? –, alles, was du hast, deine Zeit, deine Träume, deine Ehe, deinen Verstand, dein Leben. Es ist die kälteste und launischste Gottheit von allen, und wenn sie dich in ihren Diensten akzeptiert, dann nimmt sie nicht, was du anbieten möchtest, sondern was sie will.
    Die Undercoverarbeit hatte sich meine Aufrichtigkeit ausgesucht. Ich hätte es kommen sehen

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