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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Knocknaree-Fall schnell unterwegs gewesen, verbissen immer stur voran, um bloß nicht anzuhalten, und zunächst war die schamlose, elegante Muße dieser vier – Stickerei , meine Fresse – so schockierend wie eine Ohrfeige. Ich hatte sogar vergessen, wie das überhaupt ging, etwas Langsames zu wollen, etwas Sanftes, etwas mit weitem Raum und eigenen sicheren, wiegenden Rhythmen. Dieses Haus mitsamt dem Leben darin schwebte in meinen Gedanken kühl wie Brunnenwasser, kühl wie der Schatten unter einer Eiche an einem heißen Nachmittag.
    Tagsüber übte ich: Lexies Handschrift, ihren Gang, ihre sprachliche Färbung – zum Glück für mich war es nur ein leichter, etwas altmodischer Einschlag, als käme sie aus dem County Dublin, den sie vermutlich von irgendeinem Fernsehoder Radiomoderator übernommen hatte, und gar nicht so viel anders als meiner –, ihren Tonfall, ihr Lachen. Als ich es zum ersten Mal richtig hinkriegte – ein begeistertes, haltlos perlendes Lachen, die Tonleiter rauf, wie bei einem Kind, das gekitzelt wird –, erschrak ich zu Tode.
    Ihre Version von Lexie Madison war beruhigenderweise ein bisschen anders gewesen als meine. Damals am UCD spielte ich Lexie fröhlich, unbekümmert, leutselig, am glücklichsten, wenn sie mitten im Geschehen stand. Sie hatte nichts Unberechenbares an sich, keine dunklen Seiten, nichts, was Dealer oder Käufer veranlassen konnte, in ihr ein Risiko zu sehen. Zumindest am Anfang sahen Frank und ich in ihr ein speziell angefertigtes Präzisionswerkzeug, das unseren Bedürfnissen zu dienen und nach unserer Pfeife zu tanzen hatte, mit einem ganz bestimmten Ziel im Kopf. Die Lexie der Unbekannten war unberechenbarer gewesen, sprunghafter, eigenwilliger, launischer. Sie hatte sich eine Frau mit zwei Gesichtern ausgedacht, im Umgang mit ihren Freunden ausgelassen und plappernd mit gelegentlichen mutwilligen Ausbrüchen, im Umgang mit Außenstehenden reserviert und eiskalt, und es wurmte mich, dass ich diesen Faden nicht zurückverfolgen konnte, um herauszufinden, was ihr Ziel gewesen war, auf was für eine Aufgabe sie dieses neue Ich zugeschnitten hatte.
    Ich zog durchaus die Möglichkeit in Erwägung, dass ich alles komplizierter machte als nötig und sie überhaupt kein Ziel gehabt hatte, dass sie, zumindest was ihre Persönlichkeit anging, einfach sie selbst gewesen war. Es ist schließlich nicht einfach, monatelang in der Haut eines anderen Menschen zu stecken. Ich weiß, wovon ich rede. Aber der Gedanke, ihr diese Persönlichkeit einfach zu glauben, machte mich nervös. Irgendetwas sagte mir, dass es ein Riesenfehler wäre, diese Frau zu unterschätzen.

    Am Dienstagabend saßen Frank und ich bei mir zu Hause auf dem Fußboden. Es gab Essen vom Chinesen, und wir aßen von der lädierten Holztruhe, die mir als Couchtisch dient und auf der Karten und Fotos ausgebreitet waren. Es war eine stürmische Nacht, der Wind warf sich in unregelmäßigen Abständen mit gewaltiger Wucht gegen das Fenster, wie ein blindwütiger Angreifer, und wir waren beide kribbelig. Ich hatte mir den ganzen Tag BK-Infos eingeprägt und so viel überschüssige Energie aufgestaut, dass ich, als Frank eintraf, gerade Handstand machte, um nicht an die Decke zu gehen. Frank war hereingerauscht gekommen, hatte unablässig redend Sachen vom Tisch gefegt, um Platz für Karten und Imbisspackungen zu schaffen, und ich überlegte – ihn zu fragen hätte nichts gebracht –, ob da irgendwo in den geheimen Winkeln dieser Playstation, die er Gehirn nennt, etwas vor sich ging, was er mir nicht erzählte.
    Die Kombination von Geographie und Essen beruhigte uns beide ein wenig – das war wahrscheinlich der Grund, warum Frank sich für Chinesisch entschieden hatte. Es ist schwer, nervös zu sein, wenn du den Mund voll mit Zitronenhähnchen hast. »Und das da«, sagte Frank, während er mit einer Hand die letzten Reiskörner auf die Gabel lud und mit der anderen zeigte, »ist die Tankstelle auf der Straße nach Rathowen. Geöffnet von sieben Uhr morgens bis drei Uhr nachts, hauptsächlich, um Kippen und Sprit an Einheimische zu verkaufen, die sich beides eigentlich nicht leisten können. Du gehst manchmal da Zigaretten kaufen. Willst du noch was essen?«
    »Gott, nein«, sagte ich. Ich war selbst verblüfft, was für einen Bärenhunger ich gehabt hatte – normalerweise esse ich wie ein Scheunendrescher, Rob war immer ganz fasziniert gewesen, wie viel ich verdrücken konnte, aber der Knocknaree-Fall hatte meinen

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