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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Tages ein. Ich hatte vergessen, wie gut er darin war, wie methodisch und gründlich und wie sehr er von mir erwartete, sein Tempo mitzugehen. Bevor wir an jenem Sonntagabend das Büro im Morddezernat verließen, drückte er mir Lexies Wochenplan und einen Stoß Fotokopien von ihrem Dissertationsmaterial in die Hand. Am Montag kam er mit einer dicken Akte über ihre BKs – bekannte Kontakte – samt Fotos und Stimmenaufnahmen und Hintergrundinfos und schlaumeierischen Kommentaren – Stoff, den ich auswendig lernen sollte. Am Dienstag brachte er eine Luftbildkarte von der Gegend um Glenskehy mit, und ich musste mir jedes Detail einprägen, bis ich die Karte aus dem Gedächtnis zeichnen konnte, dann arbeiteten wir uns bis Whitethorn House vor, von dem er mir Etagenpläne und Fotos vorlegte. Den ganzen Kram zu besorgen hatte Zeit gekostet. Frank, dieses Arschloch, hatte lange vor Sonntagabend gewusst, dass ich ja sagen würde.
    Wir sahen uns wieder und wieder die Handyvideos an, wobei Frank alle paar Sekunden auf Pause drückte, um fingerschnippend auf irgendeine Einzelheit zu zeigen: »Siehst du das? Wie sie den Kopf nach rechts neigt, wenn sie lacht? Mach mal nach … Siehst du, wie sie Rafe anschaut, und da, Justin? Mit denen flirtet sie. Daniel und Abby schaut sie direkt an, aber die beiden Jungs seitlich und aufwärts. Merk dir das … Und siehst du, was sie mit der Zigarette macht? Sie klemmt sie nicht rechts zwischen die Lippen, so wie du. Ihre rechte Hand greift rüber, und die Kippe geht links rein. Zeig mal, wie das bei dir aussieht … Hast du das gesehen? Justin ist dabei, sich über den Schimmel aufzuregen, und sofort ist da der kleine Blick zwischen Abby und Lexie, und sie fangen von den hübschen Fliesen an, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Die beiden sind eingespielt … « Ich sah mir die Clips so häufig an, dass sie, wenn ich schließlich ins Bett ging – meistens um fünf Uhr morgens, und Frank schlief in seinen Klamotten auf dem Sofa –, noch durch meine Träume glitten wie ein ständiger Sog, und an mir zerrten: Daniels schroffe, schneidende Stimme im Gegensatz zu Justins hellem Oberton, die Muster der Tapete, Abbys sattes, perlendes Lachen.
    Sie lebten nach einem genau geregelten Ablauf, der mich erstaunte. In meiner Studentenzeit fanden ständig bei irgendwem spontane Feten statt, oder wir büffelten wie besessen die ganze Nacht durch, ohne richtige Mahlzeiten, höchstens mal ein Sandwich zwischendurch. Aber die fünf: Die beiden Frauen machten jeden Morgen um halb acht das Frühstück, gegen zehn waren alle an der Uni – Daniel und Justin hatten jeder ein Auto, also fuhren sie die anderen –, egal, ob sie Tutorenkurse gaben oder nicht, etwa halb sieben waren sie wieder zu Hause, und die Männer machten das Abendessen. Am Wochenende arbeiteten sie am Haus. Bei schönem Wetter machten sie hin und wieder irgendwo ein Picknick. Sogar ihre Freizeitgestaltung war beeindruckend: Da spielte Rafe auf dem Klavier, oder Daniel las laut Dante vor, und Abby restaurierte einen bestickten Fußhocker aus dem achtzehnten Jahrhundert. Sie hatten keinen Fernseher, geschweige denn einen Computer – Daniel und Justin benutzten gemeinsam eine mechanische Schreibmaschine, die anderen drei hatten immerhin noch so viel Kontakt zum einundzwanzigsten Jahrhundert, dass sie die Computer an der Uni benutzten. Sie waren wie Spione von einem anderen Planeten, die bei ihren Recherchen einen Fehler gemacht und zur Vorbereitung Edith Wharton gelesen und Wiederholungen von Unsere kleine Farm gesehen hatten. Frank musste im Internet nachsehen, wie man Piquet spielt, und es mir beibringen.
    Das alles ging Frank natürlich gehörig gegen den Strich und inspirierte ihn zu immer kreativeren Lästereien (»Ich glaube, die sind irgend so eine spinnerte Sekte, die moderne Technologie für Teufelswerk hält und bei Vollmond die Grünpflanzen besingt. Keine Bange, wenn sie Vorbereitungen für eine Orgie treffen, hol ich dich raus. So wie die aussehen, kann ich mir nicht vorstellen, dass du Spaß dran hättest. Wer zum Henker hat denn keinen Fernseher ?«) Ich sagte ihm das nicht, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger exzentrisch kam mir ihr Leben vor und desto stärker war ich von ihnen fasziniert. Dublin ist eine schnelle Stadt geworden, sie ist übervoll und hektisch, alle haben Panik davor, zurückgelassen zu werden, und machen sich immer lauter bemerkbar, um ja nicht unterzugehen. Auch ich war seit dem

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