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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Streifen. Eine Glasvase auf dem Tisch enthielt einen Strauß sehr toter Blumen, die mit geknickten Stängeln in bizarren Winkeln schlaff herabhingen. Auf allem lag fingerdicker Staub. Abby wirkte zutiefst skeptisch; Rafe wirkte amüsiert und entsetzt zugleich; Daniel wirkte leicht fasziniert; Justin wirkte, als müsste er gleich brechen.
    »Da soll ich wohnen?«, sagte ich zu Frank.
    »So sieht es doch jetzt nicht mehr aus«, sagte er vorwurfsvoll. »Die fünf haben ordentlich was dran gemacht.«
    »Haben sie es abgerissen und neu gebaut?«
    »Es ist schön geworden. Es wird dir gefallen. Schsch.«
    »Hier«, sagte Lexie. Die Kamera ruckelte und schwang wild herum, fing fadenscheinige Vorhänge mit grässlich orangerot verwirbeltem Siebziger-Jahre-Muster ein. »Übernimm mal. Ich will mich umschauen.«
    »Ich hoffe, du hast deine Impfungen auffrischen lassen«, sagte Rafe. »Was soll ich denn damit anstellen?«
    »Nerv mich nicht«, erwiderte Lexie und sprang ins Bild, steuerte auf die Schränke zu.
    Sie bewegte sich leichter als ich, kleine wippende Schritte, und mädchenhafter: Ihre Rundungen waren nicht ausgeprägter als meine, natürlich nicht, aber durch ihren tänzelnden kleinen Schwung fielen sie ins Auge. Ihr Haar war da noch länger gewesen, gerade lang genug, um es zu zwei lockigen Rattenschwänzen über den Ohren zu binden, und sie trug Jeans und einen engen cremefarbenen Pullover, der so ähnlich aussah wie einer, den ich mal gehabt hatte. Ich wusste noch immer nicht, ob wir uns sympathisch gewesen wären, wenn wir die Chance gehabt hätten, uns kennenzulernen – wahrscheinlich nicht –, aber das tat nichts zur Sache, war so irrelevant, dass ich nicht mal wusste, wie ich darüber nachdenken sollte.
    »Du liebe Zeit«, sagte Lexie, die in einen der Schränke spähte. »Was ist das denn? Lebt das?«
    »Hat es vielleicht mal«, sagte Daniel nach einem Blick über ihre Schulter. »Vor sehr langer Zeit.«
    »Ich glaube, umgekehrt wird ein Schuh draus«, sagte Abby. »Es hat nicht gelebt, aber es lebt jetzt. Hat es schon opponierbare Daumen entwickelt?«
    »Ich will wieder nach Hause«, sagte Justin traurig aus sicherer Entfernung.
    »Willst du nicht«, sagte Lexie zu ihm. »Deine Wohnung war ein Meter im Quadrat und aus recycelter Pappe, und du fandest sie scheußlich.«
    »Meine Wohnung war jedenfalls frei von unbekannten Lebensformen.«
    »Wie hieß noch gleich der Typ über dir mit der bombastischen Stereoanlage, der sich für Bob Marley gehalten hat?«
    »Ich glaub, das ist irgendein Pilz«, sagte Daniel mit interessiert forschendem Blick in den Schrank.
    »Das reicht«, sagte Rafe. »Ich nehm das nicht auf. Wenn wir alt und grau sind und uns verklärter Nostalgie hingeben, sollten sich unsere ersten Erinnerungen an dieses Haus nicht um Pilzbefall drehen. Wie geht das Ding hier aus?«
    Eine Sekunde Linoleum, dann wurde der Bildschirm schwarz.
    »Wir haben zweiundvierzig solcher Clips«, sagte Frank, während er Knöpfe drückte, »alle zwischen gut einer Minute und fünf Minuten lang. Mit diesem Anschauungsmaterial und noch einer guten Woche intensiver Gespräche mit ihren vier Mitbewohnern haben wir mit Sicherheit genug Informationen, um uns eine Lexie Madison Marke Eigenbau zusammenzubasteln. Vorausgesetzt natürlich, du willst es machen.«
    Er stoppte den Film bei einem Bild von Lexie. Sie blickte über die Schulter, um etwas zu sagen, die Augen strahlend und der Mund halb zu einem Lächeln geöffnet. Ich betrachtete sie, weichgezeichnet und flimmernd, als würde sie jede Sekunde vom Bildschirm davonfliegen, und ich dachte: So war ich auch mal. Selbstsicher und unverwundbar, zu allem bereit, was sich ergab. Noch vor wenigen Monaten war ich so .
    »Cassie«, sagte Frank leise. »Deine Entscheidung.«
    Scheinbar endlos lange war ich drauf und dran, nein zu sagen. Zurück ins DHG: die übliche Montagsernte nach dem Wochenende, zu viele Blutergüsse und Pullover mit hohem Rollkragen und Sonnenbrillen im Haus, die Stammkundinnen, die ihre Freunde anzeigten und die Anzeige am Dienstagabend schon wieder zurückzogen, Maher, der neben mir saß wie ein dicker rosa Schinken im Pullover und unvermeidlich jedes Mal kicherte, wenn wir einen Fall mit ausländischen Namen reinkriegten.
    Wenn ich am nächsten Morgen dahin zurückging, würde ich nie mehr dort wegkommen. Ich wusste es so klar wie eine Faust im Magen. Diese Frau war wie eine Herausforderung, die mir mit Vehemenz und tödlicher Präzision

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