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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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für eine Katze sorgen, geschweige denn einen Teenager allein großziehen. Keine verantwortungsbewusste Behörde würde ihr das Sorgerecht zusprechen. Dieser Junge hatte schon zu viel Zurückweisung erfahren; es wäre grausam, ihm Versprechungen zu machen, die sie nicht halten konnte.
    Und so versprach sie nichts. Sie hielt nur seine Hand und blieb an seinem Bett sitzen, bis er wieder einschlief. Die Schwester kam herein, um die Infusionsflasche zu wechseln, und verschwand gleich wieder. Aber Maura blieb sitzen und sann über die Zukunft des Jungen nach, über die Rolle, die sie darin realistischerweise spielen könnte. Eines weiß ich: Ich werde dich nicht im Stich lassen. Du wirst immer wissen, dass jemand für dich da ist.
    Jemand klopfte von draußen an die Scheibe, und als sie sich umdrehte, sah sie Jane, die ihr zuwinkte.
    Widerstrebend stand Maura auf und verließ das Abteil.
    »Die erste Obduktion fängt jeden Moment an«, sagte Jane.
    »Die Opfer von Kingdom Come?«
    Jane nickte. »Der Rechtsmediziner aus Colorado ist eben eingetroffen. Er sagt, er kennt dich, und er wollte wissen, ob du vielleicht dabei sein möchtest. Er macht es unten in der Leichenhalle des Krankenhauses.«
    Maura sah durch das Sichtfenster nach Rat und vergewisserte sich, dass er friedlich schlief. Der Lost Boy, der immer noch darauf wartete, dass jemand ihn aufnahm. Ich komme wieder, das verspreche ich dir.
    Sie nickte Jane zu, und zusammen verließen sie die Intensivstation.
    Als sie in der Leichenhalle ankamen, fanden sie den Vorraum voller Zuschauer, unter ihnen Sheriff Fahey und Detective Pasternak. Allein die hohe Zahl der Opfer sorgte dafür, dass dieser Fall große Beachtung fand, und so hatten sich fast ein Dutzend Polizisten sowie Beamte der Bezirks- und Bundesstaatsbehörden eingefunden, um der Obduktion beizuwohnen.
    Der Rechtsmediziner sah Maura hereinkommen und hob eine fleischige Hand zum Gruß. Vor zwei Jahren im Sommer hatte sie Dr. Fred Gruber bei einem rechtsmedizinischen Kongress in Maine kennengelernt, und er schien erfreut, ein bekanntes Gesicht zu sehen.
    »Dr. Isles«, rief er mit seiner dröhnenden Stimme. »Ich könnte noch ein fachkundiges Augenpaar gebrauchen. Wollen Sie sich nicht einen Kittel umbinden und mir Gesellschaft leisten?«
    »Ich halte das nicht für angebracht«, sagte Sheriff Fahey.
    »Dr. Isles ist Rechtsmedizinerin.«
    »Sie arbeitet nicht für den Staat Wyoming. Diese Ermittlung wird sehr genau beobachtet werden, und ihre Mitwirkung könnte Fragen aufwerfen.«
    »Aber warum denn?«
    »Weil sie auch in diesem Tal war. Sie ist eine Zeugin, und sie könnte sich dem Vorwurf der Manipulation aussetzen. Oder der Kontamination von Beweismitteln.«
    »Ich bin nur als Beobachterin hier«, warf Maura ein, »und das kann ich ebenso gut mit Ihnen allen von dieser Seite der Scheibe aus tun. Ich nehme an, wir können die Obduktion auf diesem Monitor verfolgen?« Sie deutete auf den Fernsehbildschirm, der im Vorraum an der Wand befestigt war.
    »Ich schalte die Kamera ein, damit Sie alle gut sehen können«, sagte Dr. Gruber. »Und ich möchte ohnehin alle Zuschauer bitten, in diesem Raum zu bleiben und die Tür geschlossen zu halten, da wir es möglicherweise mit einer Zyankalivergiftung zu tun haben.«
    »Ich dachte, man muss das Zeug schlucken, damit es wirkt«, sagte einer der Beamten.
    »Es besteht die Gefahr des Ausgasens. Am riskantesten ist der Moment, wenn ich den Magen aufschneide, denn dabei könnte Cyanwasserstoff freigesetzt werden. Mein Assistent und ich werden Atemschutzmasken tragen, und ich werde den Magen unter der Dunstabzugshaube sezieren. Wir haben auch einen Gassensor mitgebracht, der uns sofort warnen wird, wenn er Cyanwasserstoff feststellt. Wenn die Anzeige negativ ist, könnte ich einige von Ihnen in den Sektionssaal hereinlassen. Aber Sie werden Kittel und Masken tragen müssen.«
    Gruber legte seine Sektionsmontur an, einschließlich einer Atemschutzhaube, und stieß die Tür zum Obduktionssaal auf. Sein Assistent, der die gleiche Schutzkleidung trug, wartete bereits auf ihn. Sie schalteten die Kamera ein, und auf dem Fernsehbildschirm konnte Maura den leeren Obduktionstisch sehen. Dann rollten Gruber und sein Assistent den in einen Plastiksack gehüllten Leichnam aus dem Kühlraum herein und schoben ihn auf den Tisch.
    Gruber zog den Reißverschluss auf.
    Auf dem Monitor konnte Maura sehen, dass es sich um die Leiche eines jungen Mädchens handelte, erst zwölf oder dreizehn

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