Totengrund
Sektionssaal gestürmt waren. Jane wollte ihnen eben folgen, als Maura ihren Arm packte und sie zurückhielt.
»Was soll das?«, fragte Jane.
»Du bleibst hier.« Maura griff sich einen Obduktionskittel aus dem Regal und zog sich dicke Gummihandschuhe an. »Lass keinen mehr in den Raum.«
»Aber der Mann da drin hat einen Anfall!«
»Und das ist passiert, nachdem er die Atemschutzhaube abgenommen hat.« Sie sah sich hektisch nach einer weiteren Schutzmaske um, konnte aber im Vorraum keine entdecken. Es bleibt mir nichts anders übrig, dachte sie. Ich muss schnell sein. Sie spülte ihre Lunge mit drei tiefen Atemzügen durch und stieß die Tür zum Obduktionssaal auf. Gruber hatte seine Atemmaske auf dem Dunstabzugsschrank liegen lassen. Sie schnappte sie und zog sie sich über den Kopf. Da hörte sie ein Scheppern, und als sie sich umdrehte, sah sie einen der Männer gegen das Waschbecken sinken.
»Alles raus hier!«, schrie sie, während sie den schwankenden Mann packte und ihm zur Tür half. »Es sind Giftgase in der Luft!«
Durch seine Maske starrte der Sektionsassistent sie entsetzt an. »Das verstehe ich nicht! Der Gassensor hat überhaupt nichts angezeigt!«
Sie bückte sich, um Gruber unter den Achseln zu fassen, aber er war zu schwer, und sie konnte ihn keinen Millimeter von der Stelle bewegen. »Nehmen Sie seine Füße!«, kommandierte sie.
Zusammen mit dem Assistenten schleifte sie Gruber vom Tisch weg und über den mit Instrumenten übersäten Boden zur Tür. Als sie ihn in den Vorraum geschafft hatte, war das Notfallteam bereits eingetroffen und legte den drei auffallend blassen Männern Sauerstoffmasken an.
Maura sah auf Gruber hinunter, dessen Gesicht blau verfärbt war. »Der Mann atmet nicht mehr!«, rief sie.
Das Notfallteam widmete sich jetzt dem Patienten, und Maura zog sich zurück, um sie ihre Arbeit machen zu lassen. Binnen Sekunden hatten sie ihm Sauerstoff in die Lunge gepumpt und Elektroden an seiner Brust befestigt. Auf dem Monitor erschien ein EKG.
»Er hat einen Sinusrhythmus. Puls 50.«
»Ich kann keinen Blutdruck feststellen. Sein Kreislauf ist im Keller.«
»Fang mit der Druckmassage an!«
Maura sagte: »Er war irgendeinem Giftstoff ausgesetzt, der dort im Sektionssaal ausgetreten ist.«
Aber niemand schien sie zu hören, die Atemschutzhaube verschluckte ihre Worte. Ihr Herz pochte heftig. Sie nahm die Haube ab und blinzelte, als das allzu grelle Licht ihre Augen traf. Das ganze Notfallteam war jetzt mit Fred Gruber beschäftigt. Sie hatten seinen Oberkörper vollständig entblößt, und sein nackter Schmerbauch wabbelte mit jedem Druck des Helfers auf sein Brustbein. Von seiner durchnässten OP-Hose stieg Uringestank auf.
»Ist etwas über Vorerkrankungen bekannt?«, rief der Arzt. »Was wissen wir über den Mann?«
»Er ist während einer Obduktion zusammengebrochen«, sagte Jane.
»Er sieht aus, als hätte er fast einen Zentner Übergewicht. Ich wette, er hatte einen Herzinfarkt.«
»Er hat eingenässt«, sagte Maura.
Wieder wurde sie ignoriert. Sie war wie ein Gespenst, das am Rande des Geschehens schwebte, ungehört und unbeachtet. Sie presste eine Hand an ihren Kopf, der jetzt immer stärker schmerzte, und dachte angestrengt nach, versuchte sich zu konzentrieren. Irgendwie gelang es ihr, sich durch das Gedränge von Helfern zu zwängen und neben Grubers Kopf zu knien. Sie zog eines seiner Augenlider hoch und starrte das Auge an.
Die Pupille war nur ein winziger schwarzer Punkt inmitten der blassblauen Iris.
Der Uringeruch stieg ihr in die Nase, und ihr Blick ging zu seiner durchnässten OP-Hose. Da hörte sie plötzlich jemanden würgen, und als sie aufschaute, sah sie, wie der Sektionsassistent sich in ein Waschbecken erbrach.
»Atropin«, sagte sie.
»Ich habe den Zugang drin!«, rief eine Schwester.
»Ich bekomme immer noch keinen Blutdruckwert.«
»Sollen wir ihm Dopamin verabreichen?«
»Er braucht Atropin«, sagte Maura lauter.
Zum ersten Mal schien der Arzt sie zu bemerken. »Wieso? So langsam ist sein Puls doch gar nicht.«
»Seine Pupillen sind extrem verengt. Und er hat seine Blase entleert.«
»Er hatte ja auch einen Anfall.«
»Uns allen ist in diesem Raum übel geworden.« Sie deutete auf den Sektionsassistenten, der sich immer noch über das Waschbecken beugte. »Geben Sie ihm sofort das Atropin, wenn Sie ihn nicht verlieren wollen.«
Der Arzt zog Grubers Augenlid hoch und starrte die winzige Pupille an. »Okay. Atropin, zwei
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