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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Sichtfenster beobachteten sie, wie Gruber den abgeklemmten und herausgeschnittenen Magen aus der Bauchhöhle hob. Er trug ihn zum Dunstabzug und sah seinen Assistenten an.
    »Zeigt der Sensor irgendetwas an?«
    »Nicht der geringste Ausschlag.«
    »Okay. Bringen Sie den Monitor ein bisschen näher. Mal sehen, was passiert, wenn ich zu schneiden anfange.« Gruber hielt einen Moment inne und starrte auf das glitzernde Organ hinunter, als ob er sich für seinen nächsten Schritt erst wappnen müsste. Die Dunstabzugshaube versperrte Maura die Sicht, sodass sie den eigentlichen Schnitt nicht sehen konnte. Was sie sah, war Grubers Profil, seinen vorgereckten Hals, die vor Konzentration angespannten Schultern. Abrupt richtete er sich auf und sah seinen Assistenten an.
    »Und?«
    »Nichts. Er zeigt weder Cyanwasserstoff noch Chlor oder Ammoniak an.«
    Gruber wandte sich zum Fenster um; die beschlagene Maske verdeckte sein Gesicht. »Der Magen weist keine Schleimhautverätzungen auf. Ich muss daraus schließen, dass wir es wahrscheinlich nicht mit einer Zyankalivergiftung zu tun haben.«
    »Aber was hat sie dann umgebracht?«, fragte Pasternak.
    »Zu diesem Zeitpunkt kann ich nur spekulieren, Detective. Es könnte sein, dass die Opfer Strychnin zu sich genommen haben, aber diese Leiche weist keine Anzeichen von Opisthotonus auf.«
    »Was?«
    »Eine abnorme Überstreckung und Verkrampfung der Rückenmuskulatur.«
    »Was ist mit diesem anderen Befund, in der Lunge?«
    »Es gibt eine ganze Reihe von Substanzen, die das Lungenödem verursacht haben könnten, von Opiaten bis hin zu Phosgen. Ich muss Ihnen die Antwort schuldig bleiben. Ich fürchte, wir müssen das Ergebnis der toxikologischen Untersuchung abwarten.« Er nahm seine beschlagene Schutzhaube ab und seufzte, offenbar erleichtert, endlich wieder frei atmen zu können. »Im Augenblick neige ich zu der Ansicht, dass der Tod durch Drogen oder Giftstoffe hervorgerufen wurde.«
    »Aber der Magen ist leer?«, fragte Maura. »Sie haben keine Reste von Kapseln gefunden?«
    »Die Droge könnte in flüssiger Form verabreicht worden sein. Oder vielleicht ist der Tod mit Verzögerung eingetreten. Etwa durch die Einnahme von Sedativa, gefolgt von absichtlich herbeigeführter Erstickung.«
    »Heaven’s Gate«, hörte Maura jemanden hinter ihrem Rücken sagen.
    »Genau. Wie bei dem Massenselbstmord der Heaven’s-Gate-Sekte in San Diego«, sagte Gruber. »Diese Menschen schluckten Phenobarbital und zogen sich anschließend Plastiktüten über den Kopf. Worauf sie einschliefen und nie wieder aufwachten.« Er wandte sich wieder zum Sektionstisch um. »Jetzt, da wir die Gefahr einer Cyanwasserstoff-Ausgasung ausgeschlossen haben, werde ich mir mehr Zeit nehmen. Sie müssen alle etwas Geduld haben. Wahrscheinlich dürfte der Rest der Obduktion für einige von Ihnen eher langweilig sein, also gehen Sie ruhig, wenn Sie möchten.«
    »Dr. Gruber«, fragte einer der Beamten, »wie lange wird diese erste Autopsie dauern? Es warten ja noch vierzig weitere Leichen in den Kühlkammern.«
    »Und ich werde auch keine weiteren herausnehmen, solange ich nicht guten Gewissens sagen kann, dass ich mich dieser jungen Dame ausreichend gewidmet habe.« Er blickte auf die Leiche des Mädchens, und seine Miene war kummervoll. Die Gedärme glitzerten in der klaffenden Bauchhöhle, und von ihrem frisch aufgetauten Fleisch tropfte rosafarbenes Schmelzwasser in den Ablauf des Tischs. Aber es war ihr Gesicht, das seine Aufmerksamkeit zu fesseln schien. Als Maura zu dem Monitor aufblickte, zog dieses Gesicht auch sie in seinen Bann – so bleich und unschuldig. Eine Eisjungfrau, zur Skulptur erstarrt, ehe sie zur Frau reifen konnte.
    »Dr. Gruber?«, sagte der Assistent. »Alles in Ordnung mit Ihnen? Doktor?«
    Mauras Blick ging zurück zum Sichtfenster. Gruber wankte und streckte die Hand aus, um sich am Tisch festzuhalten, doch seine Beine schienen unter ihm wegzuknicken. Ein Tablett kippte um, und die Instrumente aus Edelstahl rollten scheppernd über den Boden. Gruber brach zusammen und landete mit einem scheußlichen dumpfen Schlag auf den Fliesen.
    »O Gott!« Der Assistent kniete sich neben den Gestürzten. »Ich glaube, er hat einen Anfall!«
    Maura schnappte sich das Telefon, das in der Nähe stand, und wählte die Nummer der Zentrale. »Code Blue im Obduktionssaal«, rief sie. »Wir haben hier einen Notfall!« Als sie auflegte, sah sie zu ihrer Bestürzung, dass drei der Zuschauer schon in den

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