Totengrund
Bakterien, von denen es in seinem Blut wimmelte, die in alle seine Organe eindrangen. Und sie dachte an eine Leiche, die sie einmal seziert hatte, die Leiche einer Frau, die an einem septischen Schock gestorben war, und sie erinnere sich an die fleckigen Einblutungen auf der Haut, dem Herzen und der Lunge. Der Schock führte zu einem Multiorganversagen; Herz, Nieren und Gehirn stellten ihre Funktion ein. Arlo zeigte schon Anzeichen des Deliriums. Er sah Menschen, die nicht existierten – Geister, die um ihn herumschwebten. Aber wenigstens produzierte er noch Urin; solange seine Nieren nicht versagten, hatte er noch eine Überlebenschance.
»Ich packe dir etwas Proviant ein«, sagte sie. »Und du wirst einen Schlafsack brauchen, falls du es bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht schaffst.«
»Ich werde zusehen, dass ich bis heute Abend so weit wie möglich komme«, erwiderte Doug. Sein Blick ging zum Wohnzimmer, wo Arlo mit dem Tod rang. »Und jetzt muss ich ihn deiner Obhut überlassen.«
Grace wollte sich nicht von ihrem Vater trennen. Sie krallte sich in seine Jacke, als er draußen auf der Veranda stand, und flehte ihn an, sie nicht allein zu lassen. Er sei doch ihr Vater, jammerte sie. Wie könne er sie einfach so zurücklassen, genau wie ihre Mutter es getan hatte? Welcher Vater würde so etwas tun?
»Arlo ist sehr krank, Schatz«, sagte Doug, während er ihre Finger von seinem Ärmel löste. »Wenn ich keine Hilfe hole, könnte er sterben.«
»Wenn du gehst, bin ich diejenige, die sterben könnte!«, rief sie.
»Du bist nicht allein. Elaine und Maura werden sich um dich kümmern.«
»Warum musst du gehen? Warum kann sie nicht gehen?« Grace zeigte mit dem Finger auf Maura. Die Geste war so aggressiv, dass sie wie eine Anklage wirkte.
»Hör auf, Grace. Hör auf!« Er packte seine Tochter an den Schultern und schüttelte sie kräftig. »Ich bin der Kräftigste von uns. Ich habe die größten Chancen, durchzukommen. Und außerdem ist Arlo mein Freund.«
»Aber du bist mein Vater «, konterte Grace.
»Es wird höchste Zeit, dass du aufhörst, dich wie ein kleines Kind zu benehmen. Du musst endlich einsehen, dass du nicht der Mittelpunkt des Universums bist.« Er warf seinen Rucksack über die Schultern. »Wir reden darüber, wenn ich wieder da bin. Und jetzt gib mir einen Kuss, ja?«
Grace wich zurück. »Kein Wunder, dass Mom dich verlassen hat«, sagte sie, ging ins Haus zurück und knallte die Tür hinter sich zu.
Doug stand da wie vom Donner gerührt und starrte ungläubig die geschlossene Tür an. Aber eigentlich hätte ihn ihr Ausbruch kaum überraschen dürfen. Maura hatte erlebt, wie gierig Grace um die Aufmerksamkeit ihres Vaters buhlte und wie geschickt das Mädchen seine Schuldgefühle als Waffe einsetzte, um ihn zu manipulieren. Jetzt schien Doug drauf und dran, seiner Tochter ins Haus zu folgen – genau das, was Grace wollte und zweifellos auch erwartete.
»Mach dir keine Gedanken um sie«, sagte Maura. »Ich verspreche dir, ich werde mich um sie kümmern. Du kannst vollkommen unbesorgt sein.«
»Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann.« Er nahm sie in den Arm und drückte sie zum Abschied. »Es tut mir leid, Maura«, murmelte er. »Es tut mir leid, dass alles so schiefgelaufen ist.« Er löste sich von ihr und sah sie an. »Damals in Stanford hast du mich bestimmt für einen Versager gehalten. Ich nehme an, es ist mir nicht besonders gut gelungen, dich vom Gegenteil zu überzeugen.«
»Hol uns hier raus, Doug, und ich werde meine Meinung noch einmal überdenken.«
»Verlass dich drauf.« Er zog den Brustgurt seines Rucksacks stramm. »Halten Sie die Stellung, Dr. Isles. Ich komme mit der Kavallerie zurück, versprochen!«
Sie sah ihm von der Veranda aus nach, als er die Straße hinaufmarschierte. Die Temperatur war auf wenige Grad unter null gestiegen, und keine Wolke war am Himmel zu sehen. Wenn er entschlossen war, den Marsch zu wagen, dann war heute der ideale Tag dafür.
Plötzlich ging die Tür auf, und Elaine stürzte aus dem Haus. Sie hatte sich schon kurz zuvor von Doug verabschiedet, aber jetzt war sie wieder da und rannte los, um ihn einzuholen, als ob ihr Leben davon abhinge. Maura konnte nicht hören, was sie sagte, doch sie sah, wie Elaine den Kaschmirschal abnahm, den sie immer trug, und ihn Doug als Abschiedsgeschenk zärtlich um den Hals schlang. Sie umarmten sich und schienen gar nicht mehr voneinander lassen zu wollen. Dann drehte Doug sich um und
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