Totengrund
nachgefragt?«
Gabriel nickte. »Sie hat ihn am Dienstag am Flughafen abgeholt und sollte ihn heute Morgen zurückbringen.«
»Der Wagen ist also auch verschwunden.«
»Richtig.«
Jane mied Brophys Blick; sie wollte sein Gesicht nicht sehen.
»Ich denke, damit ist der Fall klar«, sagte Gabriel. »Es gibt nur eins, was wir jetzt tun können.«
Jane nickte. »Ich rufe morgen früh meine Mutter an. Sie wird sicher gerne auf Regina aufpassen. Wir können sie auf dem Weg zum Flughafen bei Mom absetzen.«
»Sie fliegen nach Jackson?«, fragte Brophy.
»Wenn wir für morgen zwei Plätze im Flieger bekommen können, ja«, erwiderte Jane.
»Reservieren Sie drei«, sagte Brophy. »Ich komme mit.«
14
Das Erste, was Maura beim Aufwachen hörte, war das Klappern von Arlos Zähnen. Sie schlug die Augen auf und sah, dass es noch dunkel war, doch sie spürte, dass der Morgen nicht mehr weit war, dass die Schwärze der Nacht schon dem Grau der Dämmerung zu weichen begann. Im Lichtschein des Kaminfeuers zählte sie die schlafenden Gestalten: Grace hatte sich auf dem Sofa eingerollt; Doug und Elaine schliefen dicht nebeneinander, sodass sie sich fast berührten. Maura konnte sich denken, wer da in der Nacht zu wem gerückt war. Es war so offensichtlich, sobald man darauf achtete: die Art, wie Elaine Doug ansah; die Art, wie sie ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit berührte; ihre übereifrige Zustimmung zu jedem Vorschlag, den er machte. Arlo lag neben dem Kamin; in die Decke gehüllt wie in ein Leichentuch. Wieder schlugen seine Zähne klappernd aufeinander, als sein Körper vom Schüttelfrost erfasst wurde.
Sie stand auf, ihr Rücken steif vom Liegen auf dem Boden, und legte noch ein paar Scheite nach. Dann kauerte sie sich dicht an den Kamin, um sich zu wärmen, während das Holz knackte und das Feuer hell aufloderte. Sie drehte sich zu Arlo um, dessen Gesicht jetzt im Flammenschein aufleuchtete.
Seine Haare waren fettig und schweißverklebt, seine Haut hatte den wächsernen Gelbton eines Leichnams angenommen, und wäre da nicht das Klappern seiner Zähne gewesen, sie hätte glauben können, er sei bereits gestorben.
»Arlo«, sagte sie leise.
Langsam hoben sich seine Lider. Sein Blick schien aus einer tiefen, finsteren Gruft zu kommen, als wäre er längst weit jenseits aller Hilfe. »So … kalt«, flüsterte er.
»Ich habe Holz nachgelegt. Bald wird es hier drin wärmer.« Sie berührte seine Stirn, und seine Haut war so erschreckend heiß, dass sie glaubte, sie würde ihr die Hand verbrennen. Sofort ging sie zum Couchtisch, wo sie alle Medikamente aufgereiht hatten, und mühte sich, im Halbdunkel die Etiketten zu erkennen. Sie fand die Flaschen mit Amoxicillin und Tylenol und schüttete ein paar Kapseln in ihre hohle Hand. »Hier. Nimm die.«
»Was ist das?«, ächzte Arlo, als sie seinen Kopf anhob, um ihm zu helfen, die Pillen zu schlucken.
»Du hast Fieber. Deswegen zitterst du so. Wenn du die hier nimmst, müsstest du dich bald besser fühlen.«
Er schluckte die Kapseln und sackte aufs Kissen zurück, erfasst von einem derart heftigen Schüttelfrost, dass sie schon glaubte, er habe Krämpfe. Doch seine Augen waren offen und wach. Maura verzichtete auf ihre eigene Decke, um seinen Körper mit einer zusätzlichen Schicht Wolle zu bedecken. Sie wusste, dass sie nach seinem Bein sehen sollte, doch es war noch zu dunkel im Zimmer, und sie wollte die Petroleumlampe nicht anzünden – nicht, solange alle anderen noch schliefen. Im Fenster war es schon heller geworden. Noch etwa eine Stunde, dann würde der Morgen dämmern, und sie könnte sein Bein in Augenschein nehmen. Aber schon jetzt wusste sie, was sie vorfinden würde. Das Fieber bedeutete, dass sein Bein mit ziemlicher Sicherheit infiziert war, dass Bakterien in seine Blutbahn eingedrungen waren. Sie wusste auch, dass ein Antibiotikum wie Amoxicillin nicht stark genug war, um ihn zu retten.
Und es waren auch nur noch zwanzig Tabletten übrig.
Ihr Blick ging zu Doug. Sie war versucht, ihn zu wecken, damit er diese Last mit ihr teilte, doch er schlief noch tief und fest. Und so saß sie allein an Arlos Seite, hielt seine Hand und streichelte seinen Arm durch die Decken hindurch. Obwohl seine Stirn glühte, war seine Hand erschreckend kalt, fast wie die eines Toten.
Und ich weiß, wie totes Fleisch sich anfühlt.
Schon als Medizinstudentin hatte sie sich stets im Obduktionssaal am wohlsten gefühlt, weit wohler als am Bett eines Patienten. Die
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