Totenhaut
»Wie sind denn diese Frauenhäuser?«
»Das Paradies im Vergleich zu dem, was Ihnen zu Hause blüht.«
Fiona holte tief Luft. »Okay. Dann versuch ich’s mal.«
Ein Lächeln breitete sich über Dawns ganzes Gesicht aus, und sie füllte Fionas Tasse nach.
Fiona wickelte sich in ein Handtuch ein und wollte aus der Dusche steigen. Doch der Cognac kreiste durch ihre Adern, und sie musste sich am Duschvorhang festhalten. Sie riss ein paar Ringe ab, bevor sie das Gleichgewicht wiedererlangte. Sie wischte den Dampf vom Badezimmerspiegel und betrachtete ihr Gesicht. Abgesehen von den Verletzungen sah ihr eine hübsche Frau mit welligem, braunem, kragenlangem Haar entgegen.
»Du schaffst das«, sagte sie langsam, die Worte ein wenig undeutlich. »Du kannst ihn verlassen.«
Das Eis hatte die Schwellung ein wenig zurückgehen lassen, und sie hoffte, der Bluterguss würde nicht allzu stark zu sehen sein. Sie wünschte, sie hätte ihre Schminktasche dabei. Doch alles, was sie dahatte, war eine Miniaturzahnbürste und eine winzige Tube Zahnpasta, die Dawn in einer Schreibtischschublade gefunden hatte.
Es war nicht verwunderlich, dass Dawn es nicht als ihr Lebensziel ansah, Nachtmanagerin in einem Bordell zu sein. Während sie sich mit viel zu viel Cognac abgefüllt hatten, hatte sie ihr von ihren Plänen erzählt, mit ihrem Partner nach Holland auszuwandern, sobald sie genügend Geld beiseitegelegt hatten. Stundenweise Zimmer zu vermieten, leistete einen entscheidenden Beitrag zur Verwirklichung dieser Pläne.
Fiona hängte das Handtuch auf den Halter. Dann zog sie ihren Slip wieder an. Weil sie ihrem Gleichgewichtssinn noch nicht wieder traute, setzte sie sich dazu auf die Toilette. Vorsichtig ging sie zum Bett, schlug die Decke zurück und schlüpfte hinein. Die Laken waren dünn vom vielen Waschen, aber sie waren kühl und sauber. Sie schaltete das Licht aus und ließ den Kopf zur Seite fallen.
Irgendwann in der Nacht fuhr sie aus dem Schlaf. Sie war sicher, dass jemand die Tür geöffnet hatte. In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie musste zu ihrer Linken und Rechten das Bett betasten, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich noch lag. Sie blieb mucksmäuschenstill und hörte einen Schlüsselbund auf den Teppichboden fallen.
Doch das Geräusch kam aus dem Nebenzimmer, nicht ihrem eigenen. Lieber Himmel, waren die Wände dünn.
Halb benommen stützte sie sich auf einen Ellbogen und drückte einen Knopf auf ihrer Uhr. Das Zifferblatt leuchtete auf: 3:36 Uhr.
Das Kichern einer Frau, die Tür wurde geschlossen, dann hörte sie die Stimme eines Mannes, die Worte waren nicht zu verstehen. Das Bett quietschte, als jemand sich daraufsetzte. Schuhe fielen zu Boden, und die Schnalle eines ungeschickt geöffneten Gürtels klirrte laut. Fionas Augen weiteten sich. Das war doch hoffentlich keine Prostituierte mit ihrem Kunden?
Sie hörte Stimmengemurmel und dann das Quietschen des Bettes bei jeder Bewegung. Fiona legte sich wieder auf den Rücken und atmete langsam. Sie konnte nicht widerstehen und lauschte. Einige Minuten herrschte Stille, dann begann das Bett rhythmisch zu knarren. Der Mann ächzte leise. O Gott, die da drüben hatten Sex, und sie konnte alles mit anhören. Fiona hielt sich vor Verlegenheit die Ohren zu.
Jetzt stöhnte er lauter, dann sagte er etwas, und das Knarren hörte auf. Nun war ihre Stimme zu hören. Es knarrte wieder, und Fiona vermutete, dass sie die Stellung wechselten. Wieder klirrte die Gürtelschnalle. Fiona schloss die Augen, peinlich berührt und doch fasziniert von den Geräuschen. Das Quietschen ging wieder los. Keuchen kam dazu. Die Bewegungen wurden immer wilder, und sie fragte sich, was der Mann verlangt hatte. Menschenskind, das hörte sich ja an wie ein Ringkampf. Das Kopfteil schlug gegen die Wand, und an die Stelle des Keuchens trat ein unterdrücktes Stöhnen.
Fiona öffnete die Augen. Das war kein Geräusch der Lust. Das Stöhnen klang wie ein Ersticken. Fiona setzte sich auf. Sie war jetzt hellwach. Aufmerksam und konzentriert. In der Dunkelheit hatte sie das Gefühl, das Bett rutsche unter ihr weg. Die Frau rang nach Luft. Was tat er? Erwürgte er sie?
Sie hörte, wie die Bewegungen und Geräusche schwächer wurden. Dann hörten sie auf.
Fiona rührte sich nicht. Übelkeit stieg in ihr auf. Da war wieder die Gürtelschnalle, dann knarrte das Bett. Schritte bewegten sich durch das Zimmer. Die Schritte einer einzigen Person. Im Badezimmer wurde das Wasser aufgedreht
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