Totenhaut
der unbebauten Fläche, wo er jetzt seinen Hund Gassi führte. Wohnungsamt Belle Vue stand auf dem mit Graffiti besprühten Schild. In der nackten Erde darunter blühten ein paar Krokusse. Vor den Fenstern des Gebäudes waren Metallgitter und unter sämtlichen Dachrinnen mit Eisenspitzen versehene Schienen angebracht.
Es hatte ausgesehen, als würde die Sonne durchbrechen, doch jetzt war ihr vielversprechendes Glühen wieder verblasst. Der Morgen fühlte sich schwer und mutlos an, als warte er auf etwas, das ihn in die Gänge brächte. Der Mann atmete den Rauch aus, der hochwirbelte, aber gleich darauf in der reglosen Luft über seinem Kopf hängen blieb wie ein Phantom.
Sein Hund zog aufgeregt an der Leine. »Kannst es nicht erwarten, was, Prince«, brummte er, ohne die Begeisterung seines Vierbeiners zu teilen. Er öffnete den Verschluss und sah zu, wie der Hund in dem dicken Nebel verschwand.
Er stieg über die Reifenspuren, die wahrscheinlich jugendliche Autodiebe auf einer ihrer Spritztouren in das Gras gebohrt hatten, und spazierte eine Weile dahin.
»Prince!«
Keine Antwort.
Er wartete eine halbe Minute, dann versuchte er es wieder. Laute des Missfallens murmelnd, ging er quer über den Rasen in die Richtung, die der Hund eingeschlagen hatte, und sah bald die Pfotenabdrücke in dem taubedeckten Gras. Der Nebel schien in dem Tempo zurückzuweichen, in dem er sich vorwärtsbewegte, und ließ ihn nie mehr als fünfzehn Meter in die Ferne schauen. Endlich konnte er ein dunkles Etwas vor sich ausmachen.
»Prince«, sagte er ungehalten, »was machst du denn da?«
Prince’ Kopf war gesenkt, und er rieb seine Schnauze an einem weißen Sack.
»Jetzt komm.«
Der Hund sah auf. Er hatte eine bläuliche Schleife zwischen den Zähnen.
Der Mann blinzelte und kam dann näher. Es war kein Sack. Es war eine Leiche, deren weiße Haut vor einer roten Fläche endete, wo der Bauch begann. Der breite Streifen rohen Fleisches zog sich bis nach oben, wo das Gesicht der Leiche hätte sein müssen.
Der Hund schlich schuldbewusst davon, das Stück Darm baumelte noch immer aus seinem Maul.
Jon Spicer betrat die Einsatzzentrale. Er hatte erwartet, einer der Ersten zu sein. Doch an dem Schreibtisch gegenüber dem seinen saß bereits jemand. Ein Mann Ende zwanzig in einem gebügelten blassblauen Hemd, das kurze, dunkle Haar frisch geschnitten. Das ist also mein neuer Partner, dachte Jon.
Am Tag zuvor hatte ihm sein Chef, Detective Chief Inspector McCloughlin, mit einem bedeutungsvollen Zwinkern mitgeteilt, dass man ihn mit einem Zweiten zusammenspannen würde.
Zusätzliches Personal war für die Mordermittlung abgestellt worden, und Rick Saville, erst seit wenigen Monaten Detective Sergeant, war einer von sieben neuen Beamten, die dem Fall zugeteilt worden waren. McCloughlin hatte ihn »smart« genannt. Als er ihn so vom anderen Ende des Raums betrachtete, war Jon sich nicht sicher, ob diese Bezeichnung sich auf seine Fähigkeiten als Polizist oder sein Aussehen bezog.
Er dachte nach, was McCloughlins Zwinkern zu bedeuten hatte. Im vergangenen Sommer hatte er sich wegen der Ermittlung im Fall des Kaugummimörders mit dem DCI überworfen. Jon argwöhnte, dass man ihm Rick Saville zur Seite gestellt hatte, damit der alles, was sie taten, an McCloughlin weitermeldete.
Immer mit der Ruhe, ermahnte er sich. Heb dir dein Urteil für später auf. Als er auf seinen Schreibtisch zuging, blickte Saville auf, bemerkte ihn und erhob sich sofort.
»Früh dran«, meinte Jon, zog sein Sakko aus und hängte es über die Rückenlehne seines Stuhls. »Sie sind Rick Saville, stimmt’s?«
»Ja. Schön, Sie kennenzulernen.« Er übertrieb es nicht mit dem Lächeln.
Jon schüttelte dem Sergeant die Hand und spürte, dass der andere mit etwas weniger Druck antwortete. Jon hielt die Hand fest in Erwartung des dezenten Fingerdrucks, der ihn als Mitglied der Freimaurer ausweisen würde.
Nichts geschah. Vielleicht war er tatsächlich so früh DS geworden, weil er diesen Rang verdiente.
»Woher sind Sie zu uns gekommen?«
Rick setzte sich. »Ich habe gerade ein Gastspiel im Präsidium beendet – ein Projekt zur Eindämmung der Bürokratie.«
»Und ist irgendetwas dabei rausgekommen, abgesehen von noch mehr Papierkram?«
Rick lächelte kurz, doch seine Augen blieben auf der Hut.
»Kann man nicht sagen.«
»Sie sind also direkt in den gehobenen Dienst eingestiegen?«
Er nickte. »Die zwei Jahre Probezeit habe ich unten in Chester
Weitere Kostenlose Bücher