Totenklage
meinen Emotionen dünner geworden. Manchmal war sie gar nicht mehr da. Das ist zwar nicht normal, aber doch normaler als jemals zuvor, seit ich krank wurde. Ich weiß, was DCI Jackson empfindet, und empfinde etwas ganz Ähnliches. Es ist ein trauriges Gefühl, aber nichts ist so schlimm, wie gar nichts zu fühlen.
Außerdem bin ich stolz darauf, hier zu sein und denselben emotionalen Ort wie Dennis Jackson zu bewohnen. Bei dem Gedanken daran würde ich am liebsten vor Glück lachen. Aber das tue ich natürlich nicht. Das wäre wohl etwas unpassend.
» Das war sicher nicht das erste Mal«, sage ich. » Wahrscheinlich hat Martyn Roberts für seine alten Kunden genau das Gleiche getan.«
» Ja. Stimmt. Da haben Sie sicher recht.«
Ich verziehe das Gesicht und esse ein paar Bohnen. Da sie sich so schwer schlucken lassen, nippe ich am Kakao. Jackson bestellt bei der Kellnerin einen neuen. Ich würde ja protestieren, aber das hätte keinen Zweck.
Schließlich habe ich erst vor zehn Minuten aufgehört zu zittern.
» Ich hoffe, dass Sie mir irgendwann verraten, wie Sie auf die Idee kamen, zu einem gottverlassenen Leuchtturm in Pembrokeshire zu fahren. Vielleicht erzählen Sie mir dann auch, warum Sie den Leuchtturm unbedingt auf eigene Faust stürmen mussten, anstatt mich anzurufen und Verstärkung anzufordern.«
» Zu ihrer ersten Frage: ein Hinweis«, sage ich. » Die Verschwörungstheorie einer Prostituierten. Warum ich Sie nicht informiert habe? Nun ja, Sie hätten gesagt, es wäre nur Hörensagen, ein Hirngespinst. Reine Spekulation. Das kann ich Ihnen ja auch nicht verübeln. Hätten wir damit überhaupt einen Durchsuchungsbefehl bekommen?«
» Fiona. Sie stehen unter meinem Kommando. Ich würde nicht behaupten wollen, dass Sie die unkomplizierteste Beamtin aller Zeiten sind, aber Sie gehören zu meiner Einheit. Sie hätten heute draufgehen können, und es liegt in meiner Verantwortung, dass so etwas nicht geschieht.«
Wir schweigen. Ich antworte nicht. Vielleicht zucke ich leicht mit den Schultern, doch ich gehe nicht darauf ein. Jackson denkt inzwischen sowieso an etwas anderes.
» Aber, verdammt noch mal, Fiona, Sie scheinen ziemlich gut alleine klarzukommen!«
Anstatt weiterzureden, schüttelt er den Kopf, aber ich habe schon verstanden. Wie kann so ein kleiner Springteufel wie ich so einen Riesenschaden anrichten? Als die Kavallerie endlich ankam, stand ich so unter Schock und war so dankbar für die Rettung, dass es vierzig Minuten dauerte, bis mir Sikorsky wieder einfiel. Der Typ, nach dem alle gesucht haben. Als ich anfing, es jedem zu erzählen, hielten das natürlich alle für Blödsinn und sagten mir wiederholt, dass jetzt alles gut wäre und ich mir keine Sorgen mehr machen müsste. Irgendwann wurde es mir zu bunt, und ich zerrte die Leute richtiggehend den Pfad hinunter zum Schauplatz des Kampfes. Weil dort eine Axt zwischen dem Ginster lag und Blutflecken an der Stelle waren, an der ich gegen Sikorskys Kopf getreten habe, mussten sie mich wohl oder übel ernst nehmen. Sie brauchten fünfzig Minuten, um den Fuß der Klippe zu erreichen, weil der Hubschrauber erst noch Kletterzeug holen musste. Schließlich fanden sie Sikorsky – übel zugerichtet, aber noch am Leben – auf den Klippen am Ufer.
» Anscheinend war der Selbstverteidigungskurs in Hendon doch nicht umsonst«, sage ich.
» Sie wissen, dass es eine Untersuchung geben wird? Eine eingehende Untersuchung. Sie werden jeden Schlag und jeden Schuss genau unter die Lupe nehmen. Alles. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin überzeugt davon, dass Sie heute gute Arbeit geleistet haben. Von mir aus hätten Sie jedes einzelne dieser Arschlöcher umbringen können. Aber wenn ein Polizist eine Waffe abfeuert …«
» Ich weiß.«
» Dann gibt es eine Untersuchung. Und mit einem Toten und drei schwer Verwundeten …«
» Ich weiß.«
» Sikorsky liegt auf der Intensivstation. Massive Schädelverletzungen und Knochenbrüche am ganzen Körper. Man weiß nicht, ob er …«
Ob er durchkommt. Ich zucke mit den Schultern, und Jackson tut es mir gleich. Es ist uns egal.
» Es war Notwehr.«
Halb Feststellung, halb Frage. Aber eine Frage, die ich beantworten kann. » Jawohl, Sir.«
» Dieser erste Schuss, mit dem Sie den Mann getötet haben, der wurde aus einiger Entfernung abgegeben. Die Leiche weist keine Schmauchspuren auf. Eine saubere Eintrittswunde. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Ihre Angreifer eine Waffe auf Sie abgefeuert
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