Totenklage
hat zwar keine Pistole, aber eine Axt, die er wohl aus dem Holzstapel neben dem Leuchtturm gezogen hat.
Ich hebe die Waffe und drücke ab.
Nichts passiert. In der Kammer ist keine Kugel. Ich betätige den Abzug noch einmal. Wieder nichts. Doch außer abzudrücken fällt mir nichts ein.
Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich mich erst mal hinsetzen, die Waffe auf den Schoß legen und nachdenken. So eine Pistole kann ja nicht so kompliziert sein. Das lässt sich sicher wieder reparieren.
Leider habe ich diese Zeit nicht. Das weiß der Mann vor mir auch. Ich schleudere die Pistole weit hinter mich. So kann wenigstens mein Gegner nicht an eine Waffe gelangen, von der er vermutlich weiß, wie sie zu bedienen ist. Ein schwacher Trost.
Der Mann grinst triumphierend. Er macht sich nicht die Mühe, seine Freude zu verbergen. Jetzt hab ich die Schlampe, denkt er wohl, da kann ich mir ja Zeit lassen. Und es so richtig auskosten.
Er holt mit der Axt aus. Es ist kein kleines Hackebeil, sondern eine richtige Axt mit langem Griff. Blatt und Stiel sind graubraun, eine Mischung aus Holz und Rost. Da die Sonne hinter dem Mann steht, ist er nur eine Silhouette, die ihren Schatten auf das Gras vor sich wirft.
Mit einem Mal begreife ich: Es ist Sikorsky. Er ist nicht geflohen, er ist weder in Polen noch in Russland. Er ist hier in Pembrokeshire, um seinen Auftrag zu erfüllen.
Ich bin ja so blöd, denke ich, aber du bist noch blöder.
Mir fällt nämlich ein, was mir Lev beigebracht hat: Traue niemals einer langstieligen Waffe. Sie liegt vielleicht gut in der Hand, doch man braucht viel zu lange, um damit auszuholen. Und dabei ist man verwundbar. Langen Waffen kann man leicht ausweichen, besonders jemand, der so klein ist wie ich. Ein kleiner Kämpfer ist schwächer, aber dafür schneller. Und jetzt ist Geschwindigkeit wichtiger als rohe Körperkraft.
Ich gewähre Sikorsky seinen Glücksmoment. Eine Axt im Sonnenlicht. Eine halbnackte Frau vor ihm. Ein schöner Tag, um zu morden.
» Zdravstvujte, Karol«, sage ich höflich.
Er holt aus. Seine Bewegungen sind viel zu übertrieben. Er ist zu langsam. Ich weiche zur Seite aus und blocke den Axtstiel mit dem Arm ab. Gleichzeitig trete ich gegen sein Schienbein. So fest ich kann. So fest ich nur je gegen irgendetwas getreten habe.
Es ist nicht der beste Tritt aller Zeiten. Mit einem Kniescheibentreffer hätte ich ihn außer Gefecht setzen können, aber ein Schienbein ist kaum zu verfehlen, und im Moment gehe ich lieber auf Nummer sicher. Die Stiefel, die ich trage, hat Lev höchstpersönlich für mich angepasst. Stahlkappen. Üble Sache.
Der Russe begreift die Bedeutung des Wortes Schmerz in seiner Gänze und ist für ein, zwei Sekunden außer Gefecht.
Ich habe alle Zeit der Welt.
Ein weiterer fester Tritt gegen sein anderes Schienbein lässt ihn in die Knie gehen. Jetzt sind seine Hoden ungeschützt, und ich ergreife die Gelegenheit. Als er zu Boden sinkt, kommt sein Kinn auf mich zu, und er kassiert darauf auch noch einen Tritt. Nun liegt er winselnd am Boden, und ich trete gegen seinen Kopf. Richtig fest. Stahlkappe gegen Knochen. Der Kopf wird zurückgeschleudert. Ein Regen aus Blutstropfen glitzert im Sonnenlicht.
Ich stelle mir vor, wie mir Lev zu diesem Tritt gratuliert.
Sikorskys Körper verkrampft sich noch einmal, dann liegt er still da. Er ist nicht tot – er atmet noch –, aber Blutblasen quellen aus seinem Mundwinkel.
Ich weiß nicht so recht, was ich nun tun soll. Handschellen habe ich keine mehr bei mir, und das Handy liegt im Leuchtturm. Der Kerl ist verletzt, wird sich aber früher oder später wieder erholen. Und ich darf ihn unmöglich mit dem Boot entkommen lassen.
Ich spähe über den Rand der Klippe. Ich kann so einigermaßen gut schätzen, außerdem sind das ja wohl außergewöhnliche Umstände. Die Klippe ist gar nicht so hoch, vielleicht fünfzehn Meter, und hat eine Steigung von immerhin um die siebzig Grad.
Wird schon schiefgehen.
Ich trete Sikorsky noch einmal kräftig gegen den Kopf. Lieber nichts riskieren. Dann rolle ich ihn über die Klippe. Das ist alles nur improvisiert, doch ich bin eine Meisterin der Improvisation. Er purzelt wie ein in einen Teppich gewickelter Sack Kartoffeln die Klippe hinunter. Ich kann den Fuß des Felsens nicht erkennen und weiß daher auch nicht, was weiter mit ihm geschieht. Ich höre auch nichts, weil ich noch halb taub von den Schüssen bin. Ich höre noch nicht mal die Wellen.
Jetzt bin ich müde. Und
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