Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenkünstler (German Edition)

Totenkünstler (German Edition)

Titel: Totenkünstler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Carter
Vom Netzwerk:
konstruiert schienen, einem Erdbeben der Stärke acht standzuhalten. Schweigend liefen Healy und Alice durch die Gänge. Healy nickte jedes Mal kurz, wenn sie einer anderen Wache begegneten. Schließlich verließen sie auch dieses Gebäude und gelangten in einen offenen Verbindungsgang.
    »Die Bibliothek ist im Keller von Block F«, gab Healy Auskunft. »Es gibt einen wesentlich schnelleren Weg, aber dazu müssten wir übers innere Gelände gehen, und da halten sich Häftlinge auf. Ich versuche uns beiden die Sache so leicht wie möglich zu machen.«
    Nach etwa drei Minuten hatten sie die Eingangstür zu Block F erreicht, wo Healy den Vorgang mit seinem Ausweis und der Eingabe des Zahlencodes wiederholte. Einzige Lichtquelle waren durch Käfige aus Maschendraht geschützte Leuchtröhren an der Decke. Sie bogen nach links in einen langen Gang ein. Ein Häftling im orangefarbenen Overall war gerade dabei, den Boden in der Nähe der Treppe zu wischen. Seine braungebrannten, muskulösen Arme zierten zahlreiche Tätowierungen und Narben. Er hielt inne und trat zur Seite, um Alice und Healy vorbeizulassen. Der Korridor erstrahlte in einem solchen Glanz, dass Alice sich unwillkürlich fragte, ob der Häftling, sobald er mit dem Wischen fertig war, zurückging und wieder von vorne anfing und immer so weiter von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.
    »Vorsicht mit dem Fußboden, Boss, der ist ein bisschen rutschig«, sagte der Häftling. Er zog dabei den Kopf ein, und sein Blick war zu Boden gerichtet.
    Die Bibliothek war größer, als Alice erwartet hatte. Sie nahm das gesamte Untergeschoss ein. Healy nickte dem bewaffneten Wachtposten am Eingang zu und führte Alice in einen kleinen Nebenraum.
    »Bitte setzen Sie sich, ich hole den Bibliothekar. Der hilft Ihnen bei allem, was Sie brauchen.«

60
    Der Raum, in dem Alice wartete, war eine triste, etwa sechs mal zehn Schritte große Schachtel ohne Fenster, dafür aber mit einer massiven Tür. Er war leer bis auf einen mit dem Betonboden verschraubten Metalltisch und zwei Plastikstühlen, die besser auf eine Terrasse gepasst hätten, und erfüllt von dem beißenden Geruch starker Bleiche. Von diesem Geruch abgesehen erinnerte der Raum Alice an die Verhörzellen, die sie im PAB gesehen hatte. Nur der Spiegel an der Wand fehlte.
    Eine Minute verstrich, ehe Healy in Begleitung eines Mannes zurückkam, der halb so groß und doppelt so alt war wie er. Die wenigen weißen Haare, die der Mann noch auf dem Kopf hatte, waren kurz und sauber geschnitten. Sein Gesicht war von tiefen Falten zerfurcht, die ihm etwas Trauriges verliehen und von einem größtenteils in Gefangenschaft verbrachten Leben zeugten. Auf der Spitze seiner nach mehreren Brüchen krummen Nase saß eine Lesebrille. Seine Augen sahen aus, als wären sie früher einmal hart und gemein gewesen, doch jetzt schauten sie nur noch müde und resigniert in die Welt. Auch er trug einen orangefarbenen Häftlingsoverall.
    »Unser Bibliothekar hat sich heute krankgemeldet. Das hier ist Jay Devlin, der Bibliotheksassistent«, erklärte Healy. »Er macht das schon seit neunzehn Jahren und weiß alles, was es über die Bibliothek zu wissen gibt. Wenn er Ihnen nicht helfen kann, dann kann es keiner.«
    Devlin nickte höflich zur Begrüßung, gab Alice jedoch nicht die Hand. Er ließ die Arme herabhängen und hielt den Kopf gesenkt.
    Healy instruierte Devlin. »Wenn sie in den Lesesaal gehen muss, ruf Officer Toledo, der begleitet euch dann, verstanden? Ich will nicht, dass sie auf eigene Faust da rumläuft.«
    »Alles klar, Boss.« Devlins Stimme war nur unwesentlich lauter als ein Flüstern.
    »Falls Sie aufs Klo müssen«, sagte Healy, nun wieder an Alice gewandt, »kommt Officer Toledo mit und kontrolliert, ob frei ist, bevor Sie reingehen. Wir haben hier keine extra Räumlichkeiten für Damen, die gibt’s nur im Besucherblock. Wenn Sie hier fertig sind, ruft Jay oben an, ich komme dann und hole Sie ab.«
    »Jawohl, Boss«, antwortete sie mit einem Nicken. Es juckte sie, vor ihm zu salutieren, aber sie beherrschte sich.
    Healys Augen verengten sich, und er bedachte sie mit einem Blick, der Milch zum Gerinnen gebracht hätte. »Ich hoffe, unsere Bibliothek entspricht Ihren Erwartungen«, sagte er noch, bevor er ging und die Tür hinter sich zuschlagen ließ.
    »Er ist wohl nicht so der Mann für Scherze, was?«, fragte Alice.
    »Nein, Ma’am«, sagte Devlin. Seine Körperhaltung drückte Befangenheit aus. »Die Schließer hier mögen

Weitere Kostenlose Bücher