Totenkünstler (German Edition)
keine Witze, es sei denn, sie gehen auf unsere Kosten.«
»Ich bin Alice.« Sie streckte ihm die Hand hin.
»Ich bin Jay, Ma’am.« Auch diesmal machte er keine Anstalten, ihr die Hand zu schütteln.
Alice trat einen Schritt zurück. »Mein Anliegen ist eigentlich ganz simpel. Ich brauche eine Liste aller Bücher, die ein bestimmter Ex-Häftling aus der Bibliothek entliehen hat.«
»In Ordnung.« Devlin nickte und sah ihr zum ersten Mal ins Gesicht. »Das dürfte nicht weiter schwer werden. Haben Sie die Nummer des Häftlings?«
»Ich habe seinen Namen.«
»Kein Problem, damit kann ich auch was anfangen. Wie heißt er?«
»Ken Sands.«
Devlins Lider zuckten kurz.
»Sie kannten ihn?«
Devlin nickte und fuhr sich zweimal hastig mit der Hand über Mund und Kinn. »Ich kenne jeden Häftling, der hierherkommt, Ma’am. Ich arbeite hier, seit es die Bibliothek gibt. Jeder Zellenblock hat einen festen Termin in der Woche, wann die Insassen kommen und die Bibliothek nutzen dürfen. Es ist nicht gut, wenn sich Leute aus den verschiedenen Blocks mischen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber nur die wenigsten nehmen das Angebot wahr. Eine Schande, wenn Sie mich fragen. Nur Ken hat so gut wie nie eine Gelegenheit ausgelassen. Er war ein echter Büchernarr. Wollte immerzu lernen. Er war öfter hier als jeder andere.«
»Das ist gut. Dann sollten wir ja keine größeren Schwierigkeiten haben.«
»Kommt drauf an. Wie viel Zeit haben Sie denn mitgebracht, Ma’am?«
Alice lächelte schief. »Hat er so viel gelesen?«
»Wahnsinnig viel, aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist unser System. Wir haben erst zu Beginn des Jahres damit angefangen, alles auf Computer umzustellen. Das dauert. So lange müssen wir für die Ausleihe und die Katalogisierung noch das alte Karteikarten-System benutzen. Keine Computer.« Devlin wiegte den Kopf hin und her. »Für mich ist das ganz gut. Wenn das neue System startklar ist, muss ich mir eine andere Beschäftigung suchen. Ich hab’s nicht so mit diesem elektronischen Schnickschnack, Ma’am.«
Als Mitarbeiterin der Bezirksstaatsanwaltschaft konnte Alice gut nachvollziehen, warum die Digitalisierung der Gefängnisbibliotheksbestände nur im Schneckentempo voranging. Alles, was die Regierung des Staates Kalifornien tat, verschlang einen Teil ihres Budgets. Dieses Budget schwankte von Jahr zu Jahr, und wie es verteilt wurde, hing von der Wichtigkeit der einzelnen Maßnahmen ab. Da innerhalb des kalifornischen Justizsystems gerade eine ganze Reihe von Reformen umgesetzt werden musste, stand die Digitalisierung der Gefängnisbibliotheken ziemlich weit unten auf der Prioritätenliste.
»Jeder Häftling bekommt eine Ausleihkarte«, fuhr Devlin nach einer kurzen Pause fort. »Jedes Mal, wenn er ein Buch ausleiht, werden die Katalognummer des Buchs und das Ausleihdatum auf die Karte geschrieben. Und die Nummer des Häftlings kommt auf die jeweilige Karteikarte. Wir verwenden keine Namen.«
Alice riss die Augen auf. »Soll das heißen, ich muss mir Sands’ Ausleihkarte besorgen, und da steht dann nichts weiter drauf als lauter Nummern? Keine Titel?«
»Genauso ist es. Wenn Sie wissen wollen, wie ein Buch heißt, müssen Sie anhand der Titelnummer die Karteikarte zum Buch suchen.«
»Aber das ist doch ein völlig sinnloses System. Da braucht man ja ewig, bis man was findet.«
Devlin zuckte scheu die Achseln. »Zeit ist hier drin ja nicht so das Problem, Ma’am. Wir müssen uns nicht beeilen, im Gegenteil. Sonst hat man bloß noch mehr Zeit totzuschlagen.«
Dazu fiel Alice keine Erwiderung ein. »Also schön.« Sie warf einen raschen Blick auf ihre Armbanduhr. »Dann legen wir mal los. Wo bewahren Sie die Ausleihkarten auf?«
»In Karteikästen hinter der Ausleihtheke, Ma’am. Im Lesesaal.«
»Wenn das so ist, rufen Sie mal besser die Wache. Wenn Ihr System wirklich so funktioniert, wie Sie beschrieben haben, dann kann ich von hier aus nichts machen.«
61
Officer Toledo war ganze dreißig Zentimeter größer als Alice und breit wie ein Kleiderschrank. Er hatte einen buschigen, teilweise ergrauten Schnurrbart, dünne Lippen, einen rasierten Schädel und Koteletten, bei deren Anblick Elvis neidisch geworden wäre. Er eskortierte Alice und Devlin in den Lesesaal und bezog dann links neben der Ausleihe, vier Schritte von der Tür entfernt, Position. Die Art und Weise, wie sein Blick immer wieder zu ihr wanderte, war Alice sehr unangenehm.
Der Lesesaal verfügte über rund
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