Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
Vom Netzwerk:
läuft. Sie sind die Psychotante und sollen mich beruhigen – und pfeifen Sie die Scharfschützen zurück!«
    »Ich glaube, hier sind keine Scharfschützen«, antwortete Alex.
    »Für mich interessiert sich doch eh kein Arsch! Aber das wird sich ändern – und reden Sie keinen Mist, ich habe Hubschrauber gehört!«
    »Das war bestimmt das Fernsehen. Ich könnte mich darum kümmern, dass die Reporter verschwinden – möchten Sie das?«
    Gernot schwieg eine Weile. Dachte nach. Alex nutzte die Zeit, um sich noch einmal vor Augen zu führen, was in solchen Situationen erforderlich war. Eingehen auf den Geiselnehmer. Analytisch zuhören. Eine persönliche Basis aufbauen, Stress vermeiden. Im Konjunktiv bleiben. Und in diesem besonderen Fall Aufmerksamkeit schenken, bemüht sein – denn das Szenario war hochsensibel. Es sah wie folgt aus:
    Der Oberstufenschüler Gernot Brinkmann war bewaffnet in das Lemfelder Gymnasium eingedrungen und hatte fünfzehn Schüler einer Chinesisch-AG als Geiseln genommen. Die Waffen stammten vermutlich aus dem Besitz des Vaters. Er war Jäger und besaß zwei großkalibrige Revolver, die für Fangschüsse benutzt wurden. Schüler hatten die Polizei vom Handy aus alarmiert und berichtet, was geschehen war und dass es Schüsse gegeben hatte. Angeblich waren dadurch Personen verletzt worden. Aktuell hatte sich Gernot in einem Klassenraum verbarrikadiert. Was er wollte, war unklar. Möglicherweise handelte es sich um einen Racheakt, vielleicht ging es um ein Mädchen, in das Gernot verliebt war. Einen klassischen Amoklauf schloss die Polizei jedenfalls aus, denn dann würde Gernot sicher nicht mit der Polizei telefonieren, sondern wäre damit beschäftigt, so viele Schüler wie möglich zu töten.
    »Sind Sie noch da, Gernot?«
    »Ja. Nein … Ist mir egal, die mit den Kameras können bleiben, nur die Bullen sollen endlich verschwinden.« Er klang nun etwas ruhiger.
    »Okay, ich werde das gleich besprechen. Würden Sie mir denn sagen, ob es Ihnen gutgeht und in welcher Verfassung die anderen sind?«
    »Drei liegen schon in der roten Soße, und davon wird es gleich noch mehr geben!« Damit brach die Verbindung ab.
    Schneider massierte sich den Nasenrücken. »Drei angeschossene Personen – wir müssen die Verletzten rausholen. Und dazu müssen wir da rein.«
    Alex legte das Handy beiseite und fragte in den Raum: »Kann ich bitte etwas zu trinken bekommen?« Sie zog sich den dunklen Rolli zurecht und band ihre schwarzen Haare mit einem Gummi im Nacken zusammen. Niemand gab ihr eine Antwort. Also ging sie selbst los, um sich ein Mineralwasser einzugießen, und hörte Reineking sagen: »Wir sollten es weiter mit Reden versuchen. Aushandeln, dass wir die Verletzten rausholen können.«
    Der SEK-Einsatzleiter widersprach ihm. »Er hat bereits drei angeschossen. Er wird weitere Personen verletzen. Mein Vorschlag: Ich bringe ein Team an der Hinterseite des Gebäudes in Position. Da sieht er uns nicht. Wir gehen über die Umzäunungen des Sportplatzes und dann ins Hauptgebäude. Das zweite Team setzen wir vom Hubschrauber aus auf dem Dach ab. Wenn er sich über die Rotoren beklagt, sagen wir ihm, ein Notarzt sei eingeflogen worden.«
    Reineking dachte nach und nickte schließlich zögernd. »Gut. Einverstanden.«
    Das Telefon klingelte erneut. Alex stellte den Pappbecher ab und hastete zurück zu Schneider, der ihr bereits das Handy entgegenstreckte.
    »Ja? Stietencron?«
    »Ich weiß es jetzt«, sagte Gernot Brinkmann. »Sie sind wirklich die Psychotante. Sie waren in der Zeitung und im Radio.«
    »Okay«, erwiderte Alex zäh, »ich bin die Psychotante.«
    »Ich will, dass Sie zu mir reinkommen. Sie können von hier aus weiter mit denen reden, aber ich will Ihnen dabei in die Augen sehen.«
    Schneider klappte die Kinnlade runter. »Was soll denn das jetzt?«
    Alex deckte mit der Hand die Sprechmuschel ab und fragte in die Runde: »Was nun?«
    Sie blickte zu Reineking, dessen Adamsapfel nervös auf und ab hüpfte. Darauf schien er nicht vorbereitet zu sein. Niemand war darauf vorbereitet. Alex sagte zu ihm: »Es hilft nichts, Stephan. Wir müssen flexibel reagieren.«
    »Gebt ihr ein Headset«, sagte Reineking. Zwei Kollegen in Uniform setzten sich sofort in Bewegung.
    »Gernot?«, fragte Alex, nachdem sie das Handy wieder ans Ohr genommen hatte.
    »Ja?«
    »Ich komme.«
    »Sollte ich noch irgendwen anders sehen, gibt’s hier Tote.« Damit beendete er das Gespräch.
    Alex hob die Augenbrauen,

Weitere Kostenlose Bücher