Totennacht (German Edition)
zurück –»
«Es sei denn, er hat ihn nie verlassen», ergänzte Nick. «Unser Mann könnte also 1972 in Centralia gewohnt haben. Wann sind die Jungen aus Fairmount verschwunden?»
«Der eine, Dennis Kepner, im November ’69.» Kat beugte sich über die Tafel und hob noch einmal den Zeitungsausschnitt zum Fall Noah Pierce an, um auf die Rückseite zu schauen. «Am fünften Februar ’71 der andere.»
An der Größe und der Platzierung des Datums war zu erkennen, dass es sich um das Titelblatt handelte. Die Schlagzeile auf dieser Seite der Ausgabe lautete: DRITTER MONDBESUCH.
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und schien geradewegs in ihr Herz zu münden, das schneller zu schlagen anfing. Spontan kamen ihr der mürrische alte Owen Peale und seine Erinnerungen an die Nacht vom zwanzigsten auf den einundzwanzigsten Juli 1969 in den Sinn.
«Der Mond», flüsterte sie. «Wie bei Charlie.»
Nick musterte sie kritisch. «Was redest du da?»
«Charlie Olmstead, das erste Opfer, verschwand in der Nacht, als der erste Mensch den Mond betrat. Noah Pierce, unser dritter Fall, verschwand an dem Tag, als zum dritten Mal Astronauten auf der Mondoberfläche landeten.»
Durch die offenstehende Esszimmertür konnte Kat in die Küche sehen. Auf der Anrichte lag Erics Laptop. Sekunden später hatte sie ihn eingeschaltet und Google aufgerufen. Nach wenigen Klicks war sie auf der offiziellen Website der NASA und informierte sich über die Daten der Apollo-Missionen.
Es bestätigte sich, dass die erste Landung am 20. Juli 1969 stattgefunden hatte, in der Nacht, als Charlie verschwand.
«Wann wurde Dennis Kepner als vermisst gemeldet?», rief sie Nick zu, der im Esszimmer zurückgeblieben war.
Nick vergewisserte sich. «Neunzehnter November 1969.»
Kat hatte den entsprechenden Eintrag auf der Website schnell gefunden. Am selben Tag war Apollo 12 auf dem Mond gelandet. Apollo 14 landete am fünften Februar 1971, dem Tag, an dem Noah Pierce verschwand.
«Das erklärt den Zeitabstand», sagte Kat.
Nick steckte den Kopf zur Tür herein. «Wie bitte?»
«Zwischen der zweiten und der dritten Entführung liegen anderthalb Jahre», erklärte sie. «Grund dafür war Apollo 13 .»
Deren Mannschaft hatte es nicht bis zum Mond geschafft. Nach Maggies Recherchen war in der Zwischenzeit in Pennsylvania kein Junge mehr verschwunden, was kein Zufall sein konnte.
Nick kehrte an den Esszimmertisch zurück und las die drei anderen Daten – 30. Juli 1971, 21. April 1972 und 11. Dezember 1972. Apollo 15 , Apollo 16 und Apollo 17 . Dwight Halsey, Frankie Pulaski und Bucky Mason.
Kat sah die Tafel nun mit anderen Augen. Sechs erfolgreiche Mondlandungen. Sechs vermisste Jungen. Und eine Person, die sich über Jahre hinweg an einen geistesgestörten Zeitplan hielt.
«Wir müssen mit Eric sprechen», sagte Kat.
Sie fand ihn auf der Veranda zum Garten in einem Liegestuhl, der so gebrechlich aussah wie er selbst. Die Bierflasche, inzwischen leer, lag vor seinen Füßen. Er zog an seiner Zigarette und starrte vor sich hin. Kat nahm auf einem zweiten Stuhl Platz.
«Wir sind auf etwas gestoßen.»
«Ich weiß», murmelte Eric. «Ich habe euch gehört.»
«Was hast du gehört?»
«Dass mein Bruder noch leben würde, wenn Neil Armstrong seinen Fuß nicht auf den Mond gesetzt hätte. So ist es doch, stimmt’s?»
«In etwa. Es tut mir leid.»
«Ich habe mir von der ganzen Sache nicht viel versprochen», sagte Eric. «Wollte einfach den letzten Willen meiner Mutter erfüllen und habe deshalb Nick engagiert. Dass so etwas dabei herauskommt, hätte ich nicht für möglich gehalten.»
Tränen quollen ihm aus den Augen. Eine rollte bis zum Kinn und tropfte auf seinen Unterarm. Kat wischte sie unwillkürlich weg und ließ ihre Hand auf seinem Arm liegen.
«Ich weiß, es ist schwer», versuchte sie zu trösten. «Aber ich kann dir versprechen, dass wir herausfinden werden, wer es getan hat.»
Kaum dass sie das gesagt hatte, bereute sie es schon. Wie konnte sie so etwas versprechen? Die Verbrechen lagen Jahrzehnte zurück. Ob es überhaupt noch verwertbare Spuren, Indizien oder Zeugen gab? Wie dem auch sei, sie musste es zumindest versuchen. Das hatten Charlie und die anderen Jungen verdient, nicht zuletzt auch Maggie Olmstead, deren hartnäckige Recherchen sie zu diesem vorläufigen Ergebnis geführt hatten. Und auch Eric, der um Fassung rang und mit Gefühlen für einen Bruder kämpfte, den er kaum kennengelernt hatte.
Auf
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