Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz
mehr denn je durcheinander. Ich weiß einfach nicht mehr, wie ich mich entscheiden soll, aber bitte erspare mir die Einzelheiten, Marc.«
»Verstehe. Nun ja, mittlerweile spricht mein Bruder Henrik wieder mit mir, und er ergreift auch nicht mehr sofort die Flucht, sobald er mich sieht, was vor allem dem Einsatz unserer Mutter zu verdanken ist. Aber unser Verhältnis ist nicht mehr das, was es einmal war, und ich bin sicher, Henrik würde niemals, so wie früher, zu mir kommen, wenn er in Schwierigkeiten steckt«, schloss er traurig. »Wahrscheinlich baut dich das nicht gerade auf, Anna, aber so stehen die Dinge nun einmal zwischen Henrik und mir.«
»Ich danke dir trotzdem für deine Offenheit. So, und jetzt lass uns wieder reingehen, die Arbeit ruft.«
Gegen vierzehn Uhr fünfzig füllte sich der Gemeinschaftsraum mit den Beamten aus der Mörkenstraße und sieben weiteren Personen, die nicht der Polizei angehörten. Es handelte sich um drei Frauen, die offensichtlich jeweils in Begleitung ihrer Ehemänner gekommen waren. Von diesen waren zwei schlank und dunkelhaarig und entsprachen auch sonst äußerlich durchaus der Phantomzeichnung des Täters. Genauso wie der allein gekommene Besucher. Die Mitarbeiterinnen der Kita hatten in der hintersten Sitzreihe Platz genommen.
Nervös schaute Dagmar Loges zu dem vorn im Gemeinschaftsraum neben ihr sitzenden Rolf Peters, bevor sie sich räusperte und mit ihrem Vortrag begann.
Ingrid Bracht, eine Kollegin von der Revierwache einundzwanzig, verteilte noch kurz die Informationsbroschüren an die Zuhörenden, die Anna währenddessen aufmerksam beobachtete. Die Kommissarin ließ den dunkelhaarigen, allein sitzenden Mann nicht aus den Augen. Während des Vortrags versuchte sie immer wieder, in direkten Augenkontakt mit ihm zu treten, doch der Mann schien dem Vortrag konzentriert zu folgen und Annas Blicke nicht weiter zu bemerken.
»So, Sie haben nun im Anschluss noch die Gelegenheit, sich in aller Ruhe unsere Räumlichkeiten anzuschauen und Gespräche mit den heute anwesenden Mitarbeitern zu führen«, schloss Dagmar Loges ihr Referat.
»Versuchen Sie, als Erstes mit dem Mann dort hinten ins Gespräch zu kommen, Weber«, raunte Anna ihrem Kollegen im Vorbeigehen zu. »Und vergleichen Sie seine Stimme mit der des Täters.«
Als Anna in den Eingangsbereich des Kindergartens hinüberging, fielen ihr sofort vier weitere Personen auf, die keine Kollegen waren und den Kindergarten wahrscheinlich erst während des laufenden Vortrags betreten hatten. Es handelte sich um ein Pärchen sowie zwei Männer, deren Äußeres ebenfalls mit der Täterbeschreibung übereinstimmte.
Anna spürte, wie ihr vor Aufregung die Wangen glühten. Es war ein unangenehmes Gefühl, möglicherweise unter Beobachtung zu stehen, aber nicht zu wissen, aus
welcher Ecke die Gefahr drohte. Vor lauter Anspannung hatte sie stechende Kopfschmerzen bekommen, gegen die, wie sie aus Erfahrung wusste, nur eine starke Schmerztablette oder eiskaltes Wasser half. Sie schaute sich noch einmal um, dann ging sie zu den direkt vor ihr liegenden Waschräumen der Kinder hinüber. Dort musste Anna die Knie beugen, um ihr müdes Gesicht im Spiegel betrachten zu können. Ja, Sabrina Messi hatte mit ihrer Bemerkung, dass sie sich hier in einem Zwergenhaus befinden würden, absolut Recht, lächelte sie in sich hinein, denn sogar die Armaturen und Waschbecken waren in Kinderhöhe angebracht worden.Während sich Anna das kalte Wasser über die Handgelenke laufen ließ, begannen sich ihre Kopfschmerzen zu bessern. Wie gern hätte sie sich jetzt das Wasser auch noch über ihr Gesicht laufen lassen, doch da sie damit ihr Make-up ruiniert hätte, wollte sie sich zumindest noch die Armbeugen kühlen. Sie beugte sich etwas tiefer hinab, kam dabei aber so unglücklich unter den Wasserstrahl, dass sie sich versehentlich die ganze Vorderseite ihrer Bluse einnässte. So ein Mist, hoffentlich ist der Sender nicht nass geworden, dachte die Kommissarin, während sie sich wieder aufrichtete, um sich mit einem Handtuch trocken zu reiben. Da sah sie im Spiegel plötzlich einen dunkelhaarigen Mann hinter sich stehen.
»Wo steckt eigentlich Frau Greve?«, erkundigte sich Weber im Eingangsbereich bei Lars Haberland, während er sich weiter suchend nach seiner Kollegin umsah.
»Ich habe keine Ahnung, gerade eben ist sie noch hier gewesen.«
Mit schnellem Schritt ging Weber den Gang zu Dagmar Loges’ Büro entlang, um dort Annas
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