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Totenreise

Totenreise

Titel: Totenreise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lozano Garbala
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Kleidung war zerfetzt und er verströmte einen unangenehmen Geruch. Ein Dieb? In diesem Fall hätte er ihn auf frischer Tat ertappt, doch warum rührte er sich nicht? Vielleicht stand er ja unter Drogen. Diese Leute heutzutage …
    Er ging noch ein Stück weiter und wollte das Licht einschalten, um zu sehen, ob der Unbekannte dann reagieren würde. Er zog das Handy aus seiner Jackentasche; beim geringsten Problem würde er die Polizei benachrichtigen.
    Da drehte sich die Gestalt im Halbdunkel zu ihm um. Henri seufzte erleichtert und machte noch ein paar Schritte. Doch als er den Mann anblickte, blieb er wie angenagelt stehen. Diese Augen … diese unmenschlichen Augen, die ihn fixierten, hatten einen gelblichen Schimmer und sie blitzten gefährlich. Im nächsten Augenblick öffnete der Fremde den Mund und zeigte sein Gebiss. Fänge wie bei einem Raubtier. Jetzt hob der Mann die Hände, und das Geräusch langer Krallen, die aneinanderschlugen, wurde hörbar. Es gab keinen Zweifel, dieser entsetzliche Fremde hatte es auf ihn, Delaveau, abgesehen. In Erwartung von frischem Fleisch knirschte die Kreatur mit ihren Zähnen. Delaveau warf einen Blick zur nahen Ausgangstür. Sie war zu weit weg; zwischen ihr und ihm stand dieses monströse Wesen und machte seine Flucht unmöglich. Henri schrie auf, als die Bestie ohne Eile auf ihn zukam. Blind vor Entsetzen rannte er los, wobei er seine Aktentasche wegschleuderte. Doch wohin sollte er? War nicht jeder Winkel, in den er sich verkriechen würde, eine Falle, die ihn seinem Verfolger geradezu ausliefern würde? In seiner Panik fiel ihm der Notausgang ein, und er überlegte fieberhaft, wie er am schnellsten dorthin gelangen konnte. Im Laufen drehte er sich um und wurde Zeuge einer bizarren Verwandlung: Ohne stehen zu bleiben, duckte sich sein Verfolger, erlitt einen Krampf, um kurz darauf auf allen vieren weiterzulaufen … Verwandelt in einen Wolf, mit vor Hunger schäumenden Lefzen. Noch nie im Leben hatte Delaveau solche Angst gehabt.
    Mit jedem Meter, den er rannte, legte die Bestie drei zurück, und laut hörte er die Tatzen hinter sich auf den Boden schlagen. Der Notausgang, er war unerreichbar für ihn, er würde sterben, wenn er weiterhin darauf zusteuerte, also stürzte er im Gang durch eine offen stehende Tür, schlug sie fest hinter sich zu, stemmte seinen Körper mit aller Kraft dagegen und drehte den Schlüssel herum. Doch kaum wähnte er sich fürs Erste in Sicherheit, als er etwas hörte, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ: Draußen an der Tür kratzten wütend die Krallen des Tieres.

6
    PASCAL WAR NOCH immer nicht über sein Handy zu erreichen. Michelle schenkte den Wolfsmenschen, Draculas und anderen Verkleideten um sie herum keine Aufmerksamkeit mehr. Irgendwie fühlte sie sich schuldig an Pascals Verschwinden.
    Bald wäre sie dran, ihr Kostüm bewerten zu lassen, doch das war ihr egal. Sie trat an eines der Fenster, von denen aus man die Madeleine sehen konnte, und fragte sich, was wohl passiert wäre, wenn sie ihm heute Nachmittag mit einem Ja auf seine Frage geantwortet hätte. Womöglich wären sie dann nicht auf diese Party hier gegangen, wo sie doch wusste, dass Pascal diesen Halloween-Zauber nicht besonders mochte. Ihr gefiel seine Art, und doch, das war der springende Punkt, war sie sich ihrer Gefühle ihm gegenüber nicht wirklich sicher. Und wenn die Beziehung nicht funktionierte? Dann würde auch ihre Freundschaft nicht mehr dieselbe sein oder gar in die Brüche gehen. Das wollte sie nicht.
    Andererseits: Sie hatte ja auch nicht Nein zu Pascal gesagt, sie brauchte nur ein bisschen Zeit …
    Dominique tat so, als würde er die Mädchen begeistert taxieren, die an ihm vorbeigingen, doch in Wirklichkeit war auch er beunruhigt.
    »Sollen wir draußen nach ihm suchen?«, fragte Michelle.
    Dominique rollte nah zu ihr hin und beugte sich vor, um seinen Arm um ihre Taille zu legen.
    »Ich mache mir auch Sorgen«, gestand er. »Aber wir haben keine Ahnung, wohin er gegangen sein könnte, wir werden ihn nicht finden.«
    »Und wenn wir bei ihm zu Hause anrufen?«
    Dominique zuckte mit den Schultern.
    »Wenn du willst. Aber es ist fast ein Uhr morgens, wir werden seine Eltern aufwecken und ihnen einen mordsmäßigen Schrecken einjagen. Und wenn nachher nichts ist …«
    »Stimmt.« Dominique hatte recht.
    »Geben wir ihm noch eine halbe Stunde«, sagte der Freund und zog Michelle zu sich herunter, damit er ihr einen Kuss auf die Wange geben konnte.

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