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Totenreise

Totenreise

Titel: Totenreise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lozano Garbala
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du?«, sagte Dominique verschmitzt, um die Freundin aufzuheitern.
    Michelle zwang sich zu einem Lächeln.
    »Was bist du nur für einer«, sagte sie und strich ihm über das Haar.
    ***
    Das Geräusch von Schritten kam nicht wieder, also dachte Pascal, dass er es sich eingebildet hatte. Auch wenn das natürlich nicht ausreichte, um ihn tatsächlich zu beruhigen, würde er seinen Erkundungsgang doch fortsetzen.
    Der helle Pfad begann direkt am Tunnel und er weitete sich zu einem mehrere Meter breiten lichten Weg. Pascal machte einen Schritt auf der makellosen Oberfläche. Wieder spürte er seinen trockenen Hals. Es kam ihm vor, als schwebte er mitten im Universum; allerdings einem Universum ohne Planeten, Satelliten und Sterne. Grenzenlos. Finsternis überall, außer unter seinen Füßen. Eine endlose Brücke durch das Nichts.
    Die Tür hinter ihm schloss sich wieder und versperrte den Zugang zum Tunnel. Pascal nahm allen Mut zusammen, tat ein paar weitere Schritte und reckte den Kopf. Hier, wo der Pfad breiter wurde, konnte er in der Dunkelheit links und rechts des Weges nach und nach die Schatten toter Bäume und kleiner hügelartiger Erhebungen ausmachen, erleichtert stellte er fest, dass es offenbar auch hier eine Welt gab, und sie wurde realer, deutlicher, je länger er versuchte, etwas zu erkennen. Er wurde mutiger und verließ den Weg, um die wüstenartige Landschaft näher zu betrachten: Erdspalten, trockene Büsche, mächtige Baumstämme mit kahlen, knorrigen Zweigen und die Umrisse lang gezogener, welliger Dünen.
    Plötzlich klang durch die Stille ein Geräusch, das dem im Tunnel vorhin sehr ähnelte. Er erinnerte sich an die gelben Augen, die ihn dort beobachtet hatten, und hastig drehte er sich zu dem Weg zurück, doch er konnte nichts ausmachen.
    Überrascht stellte Pascal fest, dass sich der Leuchtpfad plötzlich in viel größerer Entfernung befand als zuvor. Und das, obwohl er nur ein paar Schritte hinaus in die Dunkelheit getan hatte. Etwas Gefährliches schien sich im Umkreis zu regen, und plötzlich wurde ihm bewusst, dass manche Tiere ihre Opfer erst in einen Hinterhalt lockten, bevor sie sie schlugen. Pascal fühlte sich wie eine Beute, die sich mit selbstmörderischem Leichtsinn auf unbekanntem Terrain bewegte. Wieder waren jetzt auch Schritte zu hören. Der Junge schluckte. Nervös hastete er zum Leuchtpfad zurück, ohne genau zu wissen, ob das, was da herumschlich, ihm nicht folgen würde.
    Zu den Schritten gesellte sich ein ersticktes Flüstern und schweres Atmen. Pascal wollte gar nicht wissen, was für eine Kreatur in dieser ewigen Finsternis lebte, also stürzte er hastig auf die helle Zone zu.
    Das Wesen hinter ihm machte keine Anstalten mehr, sich zu verbergen, und kam näher und näher. Pascal wagte es nicht, sich umzudrehen; es wäre sein Ende gewesen, ins Stolpern zu geraten, und er fürchtete, dass ihn der Schrecken lähmen und dem Monster, das ihn jagte, erst recht ausliefern würde.
    Es war, als würde er in Zeitlupe laufen. Das Flüstern und Atmen hinter ihm vervielfältigte sich auf einmal und kam jetzt aus verschiedenen Richtungen. Ein ganzes Rudel finsterer Kreaturen lechzte nach ihm. Frischfleisch.
    ***
    Eine halbe Stunde nachdem die Glockenuhr im Foyer Mitternacht geschlagen hatte, klappte der Lehrer Henri Delaveau seinen Aktenkoffer zu und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Er war noch in der Schule gewesen, um ein paar Arbeiten zu erledigen, denn am Montag waren die Herbstferien zu Ende, und dann hätte er eine Menge zu tun.
    Es war außer ihm niemand mehr da. Die Schule lag im Dunkeln, bis auf die orangefarbenen Leuchtpunkte der Notausgangsschilder. Henri genoss die Stille; er stellte sich den Lärm vor, den die Schüler verursachten, sobald sie morgens hier hereinströmten. Deshalb zog er die Abendkurse für Erwachsene vor.
    Als er in den Flur zum Ausgang einbog, blieb er überrascht stehen. Vor sich sah er im Halbdunkel die Umrisse eines Mannes, der ihm den Rücken zuwandte. Zwischen ihnen lagen ungefähr dreißig Meter.
    Der Unbekannte rührte sich nicht, als Delaveau ihn laut ansprach: »Hallo? Wer sind Sie? Was machen Sie hier? Die Schule ist geschlossen.«
    Nichts. Stille. Reglos wie eine Skulptur stand der Mann da.
    Er wirkte nicht wie ein Lehrer.
    »Hören Sie?« Henri ging näher auf ihn zu. »Sie haben hier nichts verloren.«
    Er wurde nervös. Aus geringerer Distanz bekam die Gestalt des Fremden einen finsteren Zug, den er anfänglich nicht bemerkt hatte. Seine

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