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Totenreise

Totenreise

Titel: Totenreise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lozano Garbala
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dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnten.
    ***
    Durch das Fenster seines Krankenzimmers hatte Marcel über Stunden die Sonne über den Himmel von Paris wandern sehen. Trotz ihrer winterlichen Blässe verströmte sie ein wohltuendes Licht für ihn.
    Licht, das er brauchte.
    Er saß auf dem Bett, um sich die Schuhe anzuziehen. Es würde noch ein paar Stunden dauern, ehe sie ihn entlassen würden, doch so lange konnte er nicht warten. Er blickte auf die Uhr. Um keinen Preis wollte er zulassen, dass Varney im Institut, wo er eingeliefert worden war, wieder zu Kräften kam, denn mit jeder Stunde regenerierte sich das untote Gewebe des Vampirs, auch wenn die Silberkugeln, die in seinem Körper steckten, diesen Prozess verlangsamten.
    Marcel beeilte sich. Mit dem Monster konnte er nur fertigwerden, wenn er es in geschwächtem Zustand und bei Tageslicht überraschte. Insofern waren die Umstände ideal.
    Der Gerichtsmediziner ging zur Tür, wo er ein paar Sekunden stehen blieb, bevor er die Klinke herunterdrückte. Er trat hinaus, ging langsam, um den Schwestern und Stationsärzten nicht aufzufallen, den langen Flur entlang, und Minuten später verließ er das Krankenhaus durch den Haupteingang. Auf der Straße winkte er ein Taxi heran, denn er war zu schwach, um bis zur nächsten Metrostation zu laufen, obendrein hatte er es eilig.
    Zwanzig Minuten später befand er sich im Institute Anatomique Forense, was angesichts des dichten Verkehrs an diesem Samstagmorgen schnell gegangen war. Der Pförtner öffnete die Tür, sobald er ihn erkannte, und grüßte freundlich.
    »Guten Tag, Edgar«, erwiderte Marcel den Gruß.
    »Sie sind ja ganz blass, Herr Doktor? Haben Sie heute Notdienst?«
    Eigentlich nicht; sein Kollege würde gleich kommen. Besser also, er hielt sich an die Wahrheit.
    »Nein«, antwortete er, ohne stehen zu bleiben, »aber ich muss noch etwas erledigen.«
    Das stimmte sogar. Deshalb war er hier. Um etwas zu erledigen. Und als Direktor des Instituts war er sowieso niemandem eine Erklärung schuldig.
    In seinem Büro zog er sich den grünen Kittel an, nahm seine Instrumente und ging die Treppe ins Kellergeschoss hinunter, wo sich der Kühlraum befand. Er verschloss von innen die Tür und ging zu den Aufbewahrungskammern. Er las die Namen und fand den Gesuchten: Alfred Varney.
    Marcel zog am Griff, bis er den Körper des Vampirs vor sich hatte; er sah seine weiße Haut mit den Schussverletzungen, ein paar Verbrennungen und die Wunde, die das japanische Schwert des Wächters, sein Schwert, verursacht hatte.
    »Wie oft bist du schon gestorben, du böse Kreatur?«, flüsterte er, während er sich auf das Tötungsritual vorbereitete.
    An den Metallwänden der Kammer, die den Leichnam umgab, waren keine Anzeichen von Kratzern zu sehen. Varney war also tatsächlich nicht wieder aufgewacht in den letzten Stunden, hier in dieser Kammer. Er befand sich in einem Dämmerzustand und nährte sich von seiner eigenen Fäulnis, um erneut aus dem unbekannten Jenseits aufzutauchen. Marcel würde das verhindern, würde das Übel an der Wurzel packen, indem er dieses Wesen, den Samen des Bösen, endgültig auslöschte.
    Er setzte den Pflock über dem Herzen Varneys an und holte weit aus, um ihm mit dem Holzhammer einen kräftigen Schlag zu versetzen. In diesem Moment war eine Stimme von draußen zu hören.
    »Marcel?«, rief jemand. »Bist du da drin?«
    »Scheiße!«, dachte er und hielt inne. Es war sein Kollege Thierry Darget.
    »Hallo, Thierry.« Er klang angespannter, als ihm lieb war, und er schwitzte.
    »Was machst du hier?«, fragte der andere. »Du hast heute doch gar keinen Dienst!«
    Marcel, der noch immer über Varney gebeugt war, seufzte.
    »Ich weiß, aber ich wollte noch etwas erledigen.« Seine Worte klangen laut in dem kahlen Kühlraum. »Wir sehen uns später!«
    Aus Richtung der Tür war ein Quietschen zu hören und die Klinke bewegte sich.
    »Hast du etwa abgeschlossen?«
    Marcel fluchte im Stillen, bevor er antwortete.
    »Ich will nicht gestört werden«, rief er unwirsch und hoffte, dass der andere abzog. »Ich bin gleich fertig.«
    »Ist gut«, kam es mit einer gewissen Verwunderung zurück. »Bis gleich.«
    Marcel wandte sich wieder dem Leichnam zu. Obwohl er noch immer friedlich dalag, hatte sich etwas verändert. Das Monster hatte mit einer Hand die Spitze des Pflocks umklammert.
    Marcels Herz machte einen Sprung, etwas, das dem Vampir gewiss nicht entgangen war, denn er schlug die Augen auf.
    *

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