Totenreise
hast, hat dir nicht die Dunkle Pforte gegeben. Der war bereits in dir, auch wenn wir es nicht bemerkt haben. Wichtige Ereignisse passieren nicht einfach so. Dafür bist du geboren worden. Und die Wahrsagerin hat das erkannt.«
»Ich kann es einfach nicht glauben.«
»Denk in Ruhe darüber nach.«
Pascal, der sich unbehaglich fühlte, wollte das Thema wechseln: »Dieses Mädchen, bei der du deine Strategietabelle angewendet hast, um sie nach Hause zu begleiten – wirst du sie noch mal treffen?«
Doch von Dominique kam nur ein ungefähres »Vielleicht«, und Pascal merkte unschwer, dass der Freund nicht darüber reden wollte. Sie schwiegen ein paar Augenblicke, dann entschloss Pascal sich, doch noch mehr preiszugeben von dem, was ihn mit der Dunklen Pforte verband – und »ihren« Folgen.
»Sieh mal«, sagte Pascal und streifte sich die Kette über den Kopf. »Dieses Medaillon ist magisch, die Wahrsagerin, Daphne, hat es mir gegeben. Es spürt das Böse auf und kann es sogar vertreiben, sagt sie.«
»Echt irre.« Dominique spürte die Wärme, die von dem Amulett ausging, als er es mit den Fingerkuppen berührte. Es war mehr als gewöhnliche Körperwärme. »Hast du die Wahrsagerin etwa wiedergesehen?«
»Vor ein paar Tagen haben wir uns auf der Straße getroffen. Sie war auf der Suche nach mir, sie weiß eine Menge Dinge.«
In diesem Augenblick kam Pascals Mutter herein, um ihnen zu sagen, dass es Zeit zum Abendessen sei, und sie mussten das Gespräch unterbrechen. Dominique rief seine Eltern auf dem Handy an und bat um Erlaubnis, noch bleiben zu dürfen. Während sie dabei halfen, den Tisch zu decken, warf er Pascal die ganze Zeit verschwörerische Blicke zu. Pascal aber fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, angesichts der Tatsache, dass seine Eltern vollkommen ahnungslos waren über das, was mit ihm geschehen war, doch wollte er sein Schweigen ihnen gegenüber nicht brechen. Immerhin hatte es ihn sehr erleichtert, sich seinem Freund gegenüber zu öffnen. Wenngleich er ihm noch deutlicher sagen musste, dass dies, was er nun wusste, kein Spiel war. Noch hatte er ihm nicht von seiner Begegnung mit den schrecklichen Wesen erzählt, die in der Finsternis lauerten … und dem einen Monster in der Welt der Lebenden.
* **
Daphne zog ihren Kopf zurück. Erschrocken presste sie sich gegen die Wand, um aus dem Blickfeld des Lehrers zu verschwinden, der noch immer mitten im Foyer stand und seinen durchdringenden Blick in ihre Richtung schickte.
Der Talisman schmerzte jetzt vor Kälte auf ihrer Brust, was ihren Verdacht bestätigte. Das Böse befand sich direkt vor ihr, es hatte sie beinahe entdeckt. Ein paar Sekunden eher, und sie wären sich im Foyer begegnet … diese Begegnung hätte tödlich sein können. Sie konnte es noch immer sein, Daphne war nicht vorbereitet. Es war einfach zu früh!
Dieser Kerl musste es sein, das Wesen, das durch die Dunkle Pforte gekommen war! Daphne ließ sich von der harmlosen Erscheinung der »Person« nicht täuschen: Dieser Körper dort, in ein paar Metern Entfernung, war nur eine leblose Hülle, unter der sich etwas verbarg, das kein Mensch war, sondern eine gefährliche Bestie. Die Konzentration von Macht, die sie um das Wesen herum spürte, war unglaublich groß.
Daphnes Geist, der sämtliche psychischen Verteidigungsmechanismen aktiviert hatte, spürte, dass das Monster im Begriff war, ihre Anwesenheit aufzudecken. Ihr war, als sende das Wesen seine gelben Raubtieraugen nach ihr aus, als wären sie nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt.
Ihr wurde klar, dass der Vampir sie wegen der Energie, die ihr Körper verströmte, auffinden würde, so wie Schlangen jagten, indem sie die Wärme ihres Opfers wahrnahmen.
Sie war ein Medium und ihre mentalen Fähigkeiten verrieten sie an jemanden mit übersinnlichen Kräften. Wenn sie dieser Begegnung lebend entkommen wollte, musste sie ihren Geist blockieren, durfte an nichts denken, musste sich für eine Weile in eine ganz normale Person verwandeln. Es war die einzige Möglichkeit, dem Vampir zu entkommen.
Angestrengt versuchte sie es. Eine verzerrte Stimme erklang in ihrem Kopf, die sie rief und aufforderte, zum Eingang zu gehen. Daphne kniff die Augen zu und versuchte, an nichts zu denken. Wenn sie auch nur den kleinsten Fehler beging, wäre sie geliefert.
Zwischen den turbulenten Signalen, die durch das Foyer schwirrten, war ein Ruf zu hören: »Monsieur Varney, die Schüler erwarten Sie.«
Niemand antwortete. Daphne hielt
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