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Totenruhe

Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Jörg Hennecke
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Lachen finden sollte. Sauerbier setzte nach. »Der Tod muss seine Würde wieder erlangen. Denken Sie an die Antike. Bei den alten Griechen gab es eine komplette Mythologie um das Totenreich, den Hades.«
    Lindemann wurde unwillig. »Ja, ja, ja. Ich weiß schon. Aber warum muss mein Vater dafür herhalten?«
    Der Pastor hob die Arme, als würde er den Alten segnen. »Weil Ihr Vater weiß, dass es für Lindener nur über den Bergfriedhof einen Weg in den Hades gibt. Also bitte ich ihn um Zustimmung zur Veröffentlichung.«
    Lindemann atmete hörbar. »Der Alte soll sich nicht unterstehen …«
    Der Pastor unterbrach ihn: »Du sollst Vater und Mutter ehren, dass es Dir wohl gehe …«.
    »Aber es ist alles nur ein schlechter Traum. Ehrlich währt am längsten.«
    »Nein. Ewig währt am längsten.«
    »Bla, bla, bla.«
    »Oh, Herrgott vergib ihm, denn er weiß nicht, was er blaat.«
    »Mit Verlaub, lieber Pastor, Sie gehen zu weit. Und Sie sind ein übles Schlitzohr. Im Übrigen: Sind Sie nicht neuerdings im Kriminalpsychologischen Dienst der Polizei?«
    »Nun ja, in einer Art Beraterstab. Wir sind das Kriseninterventionsteam. Ich vertrete da gewissermaßen die Kirche.«
    »Ich hätte nicht geglaubt, dass Sie ein so hohes Ansehen bei der Polizei genießen …«
    »Woran Sie, lieber Lindemann, nicht ganz unschuldig waren. Aber das ist Schnee von gestern.« Lindemann blieb skeptisch. »Und wie sind Sie zu der Ehre gekommen, unsere Polizei beraten zu dürfen?«
    »Ich war wohl der Geeignetste in Kirchenkreisen. Außerdem hat niemand von den jungen Kolleginnen und Kollegen mehr Zeit für scheinbar amtsfremde Aufgaben. Stellenabbau nagt auch an der Personalstruktur der Kirche.« Lindemanns Zweifel blieben. »Und die Polizei hat Sie so einfach akzeptiert?«
    Der Pastor strahlte. »Der neue Stellvertretende Polizeipräsident hat mich gern genommen.«
    »Ich nehme an, der möchte unbedingt von Ihnen beerdigt werden, um ganz sicher ins Himmelreich zu gelangen.«
    »Vielleicht auch das. Jedenfalls ist er einer aus der großen Schar, die durch mich und meinen Konfirmandenunterricht den Weg ins Leben gefunden haben.«
    Lindemann nickte. »Ich ahnte es: Die heilige Seilschaft funktioniert.«

2.
     
    Lindemann wohnt in einer verkehrsberuhigten Zone, die an zahllosen Tempo-30-Schildern erkennbar ist. Die meisten Autofahrer stöhnten über diese Gebote zum Schleichen und ließen es gut und gern schon mal 30 km/h mehr sein. Die innere Sicherheit werde dadurch zwar nicht überdurchschnittlich gefährdet, meinte Lindemann, dafür lernen spielende Kinder früh den Ernst des Lebens kennen. Ganz anders im ersten Quartal dieses Jahres, als Schneelawinen das Tempo auf 5 km/h begrenzten. Ein durchschnittlich trainiertes Großstadtkind hatte da durchaus die Chance, mit einem blauen Auge davon zu kommen. Und der ortsübliche Sommerreifen schmerzte bei Körperkontakt auch weniger als schwerprofilierte Winterreifen oder gar Schneeketten. So dachte offensichtlich die streupflichtige Verwaltung, die ihre Tätigkeit eingestellt hatte.
    Oma Kasten aus dem ersten Stock verließ die Wohnung nur noch am frühen Montag, um die nötigsten Nahrungsreserven aufzufüllen. Sie bediente sich dabei eines Marktrollers, der allerdings durch seine Sommerbereifung einem handelsüblichen Schlitten deutlich unterlegen war. Nachbar Stokelfranz brachte das Kunststück fertig, seinen Biernachschub auf dem Fahrrad-Gepäckträger durch verkrustete Schneewülste zu navigieren. »Wo bleibt die verdammte Erderwärmung?«, wollte er wissen, um sogleich irdische Institutionen haftbar zu machen: »Und was ist mit dem Räumdienst der Stadt, Meister Lindemann? Schaffen Sie den Schnee zum Nordpol, wo er gebraucht wird.« Der konterte: »Die Stadt hat kein Geld für Räumdienste und Streusalz ist ausverkauft. Die Bürger müssen aktiv werden. Den Schnee platt trampeln und dann eine Schaufel Split drüber.« Geflissentlich übersah er, dass Bürger Stokelfranz ihm einen Vogel zeigte. Danach schaffte Lindemann keuchend eine Wanderung auf den 89 Meter hohen Lindener Berg, wo eben noch das Schild der Kleingarten-Kolonie »Lindener Alpen« aus der weißen Pracht ragte. Hier unmittelbar vor der Backsteinmauer des Bergfriedhofs gab es strahlend gute Laune. Schlitten, Schneebretter, Skier – alles kam zum Einsatz, was Einwohner unter 25 Jahren bisher nur vom Hörensagen gekannt hatten. Die Geräte fanden sich in verstaubten Winkeln elterlicher Keller. Mit ihnen wurde platt gefahren, was als

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