Totenschleuse
sie denn dabei wenigstens ein paar Groschen dafür bekäme, habe ich gefragt. Sie hat ihn schnell zur Tür gebracht und ist sofort in ihre Dachkammer im Haus meines Vaters geflüchtet. Und ich hab meine Sachen geholt.«
»Was waren das für Unterlagen, die er eingesteckt hat? Haben Sie etwas erkennen können?«
»Das war doch nur ein Vorwand! Der wollte sich doch bloß wieder in Position bringen! Bei der neuen Frau Molsen anklopfen! Die hatte ihm doch sicher schon die gleiche Geschichte von Verlobung und Hochzeit erzählt wie Ihnen. Und er dachte, wenn es nicht mit der Tochter geklappt hat, dann vielleicht über die zukünftige Reedersgattin.«
»Rita Lüthje würden Sie als Stiefmutter akzeptieren?«
»Es geht nicht um die richtige Stiefmutter für mich, sondern um die richtige Frau für meinen Vater.«
»Und wieso ist Manuela Bönig keine Frau für ihn?«
»Er liebt sie nicht. Er fühlt sich geschmeichelt. Das ist alles. Sobald eine andere Frau auftritt, die das gewisse Etwas hat, das Mütterliche, ist er verliebt. So!« Sie schnippte mit dem Finger.
»Meinen Sie denn, dass Manuela Bönig so einfach gehen wird?«
»Von allein nicht. Mein Vater muss sie vor die Tür setzen, oder genauer gesagt, er wird ihr eine Wohnung suchen müssen. Es ist eine Situation, aus der er lernen kann. Eine klare Entscheidung für sein Leben zu treffen, sich durchzusetzen.«
»Und Rita Lüthje hat das, was er braucht?«
»Auf jeden Fall mehr als diese Serviererin im Büro, obwohl sie auch etwas Mütterliches hatte. Ich hab doch gesehen, mit welchen Blicken er ihr gefolgt ist.«
»Wen meinen Sie?«
»Tun Sie nicht so, Sie wissen es längst. Ich weiß nicht, von wem, aber ich sehe es Ihnen an der Nasenspitze an. Entschuldigung. Sie bekommen so neugierige Grübchen, wenn Sie etwas verheimlichen.«
»Neugierige Grübchen?«
»Hat Ihnen das noch nie eine Frau gesagt? Merken Sie sich eins. Nur eine Frau, die das sieht und es Ihnen sagt, kommt für Sie in Frage.«
»Aha!« Er grinste.
»Jetzt ist es ganz schlimm!« Sie lachte auf.
»Ich verrate Ihnen jetzt auch ein Geheimnis«, sagte Malbek. »Mein Leibgericht ist gebratene Hähnchenkeule. Am liebsten kalt. Und dieser Dorsch …«, er kaute, »… hat etwas zu lange in der Tiefkühltruhe gelegen. Aber die Senfsauce mit dem Kartoffelsalat ist superb, wirklich.«
Sie lachten wie über einen gemeinsamen Streich und sahen mit gespieltem Schuldbewusstsein um sich. Inzwischen hatte sich das Restaurant gefüllt, und ein diskretes Murmeln erfüllte den Raum. Frostig abschätzende Blicke lagen auf Malbek.
»Ihr Vater hat seine Serviererin gefeuert«, sagte Malbek, wieder ernst.
»Dann war er ausnahmsweise mal konsequent. Höchste Zeit, dass er das auch mit der Bönig macht. Das mit der vorübergehenden Zuflucht in seinem Haus war doch alles nur Theater. Sie hatte schon lange ihre Tentakel nach meinem Vater ausgestreckt. Wissen Sie eigentlich, wie lange schon?« Sie beugte sich zu Malbek vor und hielt die Gabel wie einen Zeigefinger in die Höhe. »Seit Jahren! Auf irgendeiner Party hat sie ihn in ihr Herz geschlossen. Wie gesagt, mein Vater fühlte sich geschmeichelt, wie immer. Ich weiß nicht, was da zwischen den beiden alles gelaufen ist. Er hat es zumindest gut vor mir verborgen. Aber jetzt macht die Bönig Ernst, und ihm wird es unheimlich. Mein Vater wird mir dankbar sein, dass ich ihn Rita in die Arme geschubst habe. Und Rita wird mir auch dankbar sein. Die hat seit Jahren hier mal was und da was, aber es war nie das Richtige.«
»Wenn Sie Ihrem Vater eine mütterliche Partnerin wünschen … dann wird er doch immer nur ein kleiner Junge bleiben. Genau das, was Sie ihm vorwerfen.«
»Was ich meine, ist Folgendes: Kleine Jungs stolpern und fallen, es dauert lange, bis sie daraus lernen. Manche lernen es nie. Jedenfalls solange es nicht richtig wehtut. Genau so ist es bei meinem Vater. Der Tod seiner Eltern und meiner Mutter … es fällt mir schwer, es auszusprechen … er hat es nicht verstanden. Und deshalb hat es ihm nicht wehgetan. Er spürt sich nicht richtig. Und wenn er jetzt so tut, als ob die Reederei sein Lebensinhalt wäre, ist das seine Lebenslüge! Für meine Mutter war es das, der Lebensinhalt. Er soll es einfach akzeptieren, dass er ein großer Junge ist, und eine Frau haben, die ihn auch so akzeptiert, wie er ist. Manuela Bönig ist das nicht. Sie versteht nichts von meinem Vater und nichts vom Reedereigeschäft. Aber sie tut so, verweist auf ihre
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