Totensonntag: Ein Westfalen-Krimi (Westfalen-Krimis) (German Edition)
hatte. Er würde einfach warten, bis Mike in der Frühe kam, und ihm das Ganze überlassen. In der Zwischenzeit wollte Rademacher sich Gedanken machen, wie er die Leiche am geschicktesten verbergen konnte. Ohne Spuren zu hinterlassen.
56
Selbst ein so robuster Mann wie Mike kam gelegentlich an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Müde schaute er auf seine Armbanduhr. Es war halb sechs morgens. Vor einer Stunde war der letzte Kunde gegangen. Danach musste Mike die Mädchen abkassieren. Normalerweise machte das der Geschäftsführer, aber Rademacher war ja nicht da. Der hatte es gut, fand Mike, der konnte in der Hütte friedlich am bollernden Kanonenofen schlafen. Der Gefangene machte ja keine Arbeit. Nachts durfte nicht gepinkelt werden, was sollte also passieren?
Mike hatte sich im Laufe der Nacht einige spöttische Bemerkungen anhören müssen, da sein Kopf noch immer bandagiert war. Es war nicht immer einfach für ihn gewesen, das nötige Maß an Selbstbeherrschung aufzubringen.
Die Frauen lieferten brav ihre »Miete« ab und verzogen sich in die Schlafräume im Anbau. Im eigentlichen Club hatten nur Mike und Rademacher ihre Zimmer. Zu gern hätte sich Mike jetzt in sein Bett gelegt und ein paar Stunden geschlafen. Er fühlte sich müde und zerschlagen. Seine Verletzungen hatte er nicht wirklich auskuriert, und geschlafen hatte er in den beiden letzten Tagen kaum. Wenn die Geschichte mit dem Gefangenen ausgestanden war, würde er ein paar Tage Urlaub nehmen und sich richtig ausruhen. Heute ging das aber nicht. Er musste zurück in die Hütte und den Gefängniswärter spielen. Eigentlich hatte er auf zwei Männer aufzupassen. Auf den Gefangenen, damit der nicht entwischte, und auf Rademacher, damit der keine Dummheiten machte. Ein Scheißjob, fand Mike.
Er schloss die Einnahmen der Nacht in den Tresor ein und machte noch einen Kontrollgang durch alle »Gästezimmer«. Dann setzte er sich auf Rademachers Bürostuhl und rauchte genüsslich eine Zigarette. Rademacher würde es hassen, Zigarettenasche und eine ausgedrückte Kippe auf seiner Schreibtischplatte zu finden. Das allein war die Zigarette schon wert, fand Mike.
Endlich hievte er sich aus dem Bürostuhl, zog sich seine dicke Jacke an, schloss den Club von außen und betrat den noch immer stockfinsteren Parkplatz. Es regnete gerade mal nicht, dafür war es so schneidend kalt, dass er trotz seiner warmen Kleidung fror. Die Scheiben seines Autos waren zugefroren, das Türschloss war vereist, und so dauerte es eine Weile, bis er endlich einsteigen und den Wagen starten konnte. Es widerte ihn an, sich auf den Fahrersitz hocken zu müssen. Das Blut war zwar so gut wie möglich abgewaschen worden, aber das Polster hatte sich unwiderruflich rot gefärbt, und es roch noch immer merkwürdig im Auto. Eine Mischung aus Blut und einer Ahnung von Weiblichkeit – es war ein Geruch, der ihn schon irritiert hatte, als er in dem Auto von hinten angefallen worden war. Reflexhaft schaute er nach hinten, aber da war niemand, der ihn bedrohte.
Mike schalt sich wütend ein Weichei, blickte wieder nach vorn durch die enteiste Frontscheibe und startete das Auto. Er brauchte drei Versuche, bis die alte Karre ansprang und mit kreischendem Keilriemen losfuhr. Mike verließ den Parkplatz und bog auf der Marienloher Straße nach rechts ab.
Den kleinen Peugeot, der an einer Stelle am Straßenrand parkte, von der aus der Clubparkplatz gut einsehbar war, bemerkte er nicht. Ihm fiel auch nicht auf, dass in dem parkenden Auto ab und zu der Glutpunkt einer brennenden Zigarette aufleuchtete. Auch nicht, dass der Peugeot Sekunden später ebenfalls startete und ihm mit etwas Abstand durch die Dunkelheit folgte.
57
Johnny Winter träumte plötzlich von einer großen Panzerschlacht. Kanonen donnerten, die Erde bebte. Es dauerte einige Sekunden, bis sein Unterbewusstsein erfasste, dass es kein Kanonendonner war, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, sondern Hilde Auffenberg, die hartnäckig an seine Zimmertür klopfte. Fluchend kletterte er aus dem Bett und schaute auf die Uhr. Es war neun Uhr morgens – eigentlich gar nicht so früh, aber er war die ganze Nacht hindurch Taxi gefahren und hatte sich seinen Schlaf redlich verdient. Und jetzt diese Störung nach lächerlichen drei Stunden Schlaf.
Mit T-Shirt und Boxershorts bekleidet, mit zerzausten Haaren und knittrigem Gesicht öffnete er die Tür und schaute seine Vermieterin bitterböse an.
»Nun friss mich nicht gleich auf,
Weitere Kostenlose Bücher